© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/19 / 11. Oktober 2019

Bunte Umbruchzeit
Dreißig Jahre Mauerfall: Der Kinofilm „Fritzi – Eine Wendewundergeschichte“ von Ralf Kukula und Matthias Bruhn spielt im Sommer/Herbst 1989 in Leipzig
Sebastian Hennig

Die seit der Asylkrise vornehmlich in Mitteldeutschland aufflammenden Proteste haben einen ganzen Komplex unausgesprochener Verletzungen und betrogener Hoffnungen im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung zutage gefördert. Die unversöhnlichen Gegner verlangten in rhetorischer Zuspitzung schon einmal wechselseitig nach einer Wiedererrichtung der Mauer. Wenn das auch nur sarkastisch gemeint ist, so zeigt es doch, wie sehr das gegenwärtige Jubiläum von innerdeutscher Grenzöffnung und nachfolgender Wiedervereinigung von der erneuten gesellschaftlichen Spaltung überschattet ist.

Vor diesem Hintergrund wirkt es nun fast schon rührend, mit welch bunter Harmlosigkeit der Animationsfilm „Fritzi – Eine Wendewundergeschichte“ jene Umbruchzeit für Kinder nachvollziehbar machen will. In den Lebensläufen der beiden Regisseure erweisen sich die grundlegenden Unterschiede. Dem in Bielefeld geborenen Matthias Bruhn lagen vor 1989 nach eigenem Bekunden Portugal, Frankreich und Italien näher als die abgeschirmte Mitte seines Vaterlands. Während der Dresdner Ralf Kukula im Sommer 1989 mit Freunden durch den Kaukasus zog, entleerte sich sein Heimatland über die ungarische Grenze. Keiner hatte ein Ohr für seinen Bericht vom Elbrus, weil unterdessen alle mit der Frage beschäftigt waren, ob sie sich auch aus dem Staub der DDR machen sollten. Hier beginnt die Filmgeschichte.

Denn Fritzis Freundin Sophie türmt mit ihren Eltern unter Zurücklassung des Hundes über die ungarische Grenze. Am ersten Schultag nach den großen Ferien bleibt ihr Platz einfach leer. Die Abenteuer, mit denen Mädchen und Hund wieder zusammenkommen, sind eine Tour de force durch den realsozialistischen Alltag, die kirchlichen Proteste, den Grenzstreifen und den Stasi-Knast.

Kukula war 2013 Co-Produzent von „Alois Nebel“ (JF 51/13), der erfolgreichen Verfilmung einer Graphic-Novel-Trilogie von Jaroslav Rudiš und Jaromír Svejdík. Dieser Film über einen Bahnwärter in den Sudeten macht jedoch die Geschichte der Vertreibung der Deutschböhmen aus ihrer Heimat auf weit subtilere Weise nachvollziehbar, als es jetzt in „Fritzi“ mit der Überwindung der deutschen Teilung gelingt. Während die Tschechen in „Alois Nebel“ mit großer Delikatesse ein äußerst heikles Thema der gemeinsamen Geschichte mit den deutschen Landeskindern gestaltet haben, zeigt sich „Fritzi“ von einer peinlichen Selbstgewißheit durchzogen.

Kindern soll Geschichte erklärt werden

Die Simplifizierung läßt sich nur zu einem Teil damit entschuldigen, daß hier Kindern Geschichte erklärt werden soll. Bereits die literarische Vorlage ist ein dubioses Konglomerat aus drei Lebensgeschichten von Frauen, die 1989 als Zehnjährige die Veränderungen erlebt haben. Die Autorin Hanna Schott hat aus dem Material für ihr Kinderbuch „Fritzi war dabei“ eine Figur entwickelt.

Dem Filmdrehbuch fügte Autorin  Beate Völcker weitere Ereignisse und vor allem den Hund Sputnik hinzu. Die Intention wird folgendermaßen erläutert: „Ein zentraler Aspekt in der Drehbuchentwicklung war es, die Balance zu halten zwischen einer spannenden und unterhaltsamen Geschichte, die sich glaubhaft aus der kindlichen Hauptfigur entwickelt, und dem historischen Anspruch des Projektes.“

Das gezeichnete Set-Design des Films ist nahezu perfekt. Da sind die Förderbrücken des Tagebaus am Rand von Leipzig zu sehen, die Stasi-Zentrale in der Runden Ecke, die Grenzanlagen, die qualmenden Aschetonnen, die provisorischen Gerüste an den maroden Mietskasernen aus der Kaiserzeit.

Kukula bezeichnet „Fritzi“ als den persönlichsten Film seiner bisherigen Laufbahn. „Dieser Film behandelt jenes Jahr, das auch mein Leben völlig veränderte und eine DDR-typisch auf Jahrzehnte vorgezeichnete berufliche Laufbahn aufbrach. Mein Trickfilm-Diplom von der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg hatte ich gerade zwei Jahre in der Tasche. Im Defa-Studio für Trickfilme konnte ich animieren. (…) Nachdem die Mauer im November 89 fiel, fiel auch die Defa. Zusammen mit 250 Kollegen wurde ich entlassen und hatte schneller und ganz anders als gedacht die von mir ersehnte Freiheit.“

Hier, wo es nun interessant wird, reißt die „Wendewundergeschichte“ ab, und wenn sie nicht gestorben sind tollen Fritzi und Sophie noch heute mit ihrem Sputnik um das Baumhaus herum. Dem Film haftet der schale Beigeschmack des Vorwandes an. Wir, vor allem aber unsere Kinder, bekommen wieder einmal vorgeführt, wie schlimm es doch früher war, um daraus abzuleiten, daß es uns noch nie so gut wie heute ging. Die Psychologie des Films ist in der Absicht zusammengefaßt: „Die Grenze mit Schießbefehl ist ein eindrückliches und unmittelbar verständliches Symbol, das zu zeigen uns unerläßlich erschien. Die DDR ist wie ein Gefängnis, in dem es keine echte Freiheit gibt. Zu dieser Einsicht gelangt Fritzi, und wir als Zuschauer können dies nachvollziehen.“

Die graue Lehrerin ist die böse Hexe, der nonkonformistische Klassenkamerad Bela mit den langen Haaren ist Fritzis Märchenprinz. Die Stasi-Leute erinnern an die grauen Männchen in Michael Endes „Momo“ oder die Mister Smiths aus „Matrix“. Am Ende wird das dunkle Reich mit Freiheit geflutet und alles ist gut. Wie es euch gefällt.

Kinostart am 9. Oktober 2019