© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/19 / 11. Oktober 2019

Kraftsport für jedermann
Bei Calisthenics wird mit dem eigenen Körpergewicht trainiert
Boris T. Kaiser

Fitneßtrends gibt es wie Sand am Meer. Viele davon sind mit beachtlichen Kosten und nicht geringem Zeitaufwand verbunden. Zumindest sind das gängige Ausreden, wenn es mal wieder nicht mit der fest eingeplanten Strandfigur geklappt hat. Calisthenics ist da eine eigentlich gar nicht so neue Methode, sich in Form zu bringen, die kaum noch glaubhafte Entschuldigungen zuläßt. Schon der Name ist Motivation: Der Begriff der Kalisthenie setzt sich zusammen aus den griechischen Wörtern kalos („schön“, „gut“) und sthenos („Kraft“). 

Die Methoden, mit denen der geneigte Freizeitsportler den eigenen Körper zum Abbild eines in Stein gemeißelten griechischen Halbgottes formen kann, sind simpel: Für das Training braucht es lediglich das eigene Körpergewicht.

Ursprünge liegen im deutschen Turnen

Die Übungen bestehen aus einer Reihe von einfachen, meist rhythmischen Bewegungen, so daß teure Hanteln, Kabelzüge oder Crosstrainer gar nicht nötig sind, was auch den Heimgebrauch erleichtert. Zusätzliche Gewichte werden beim Calisthenics kaum benötigt. Fortgeschrittene oder besonders ehrgeizige Sportsfreunde können während des Trainings aber sogenannte Gewichtswesten tragen, um den Effekt zu erhöhen. 

Da das zu stemmende Körpergewicht weitgehend gleichbleibend ist oder sich wie gewünscht sogar reduziert, können die Übungen für einen langfristigen Fortschritt zudem immer wieder erschwert werden. Zum Beispiel durch in der Schwierigkeit gesteigerte verschiedene Liegestütz-Varianten oder den Wechsel vom zweiarmigen in den einarmigen Klimmzug. Wem das lächerlich leicht vorkommt, kann ja mal testen, wie viele einbeinige Kniebeugen oder Zugstemmen („Muscle-ups“) er schafft.

Auch wenn für Kalisthenie spezielle Geräte keinesfalls zwingend notwendig sind, gibt es doch einige optimale Hilfsmittel wie Widerstandsbänder, die das Training abwechslungsreicher und effektiver machen. Daneben gibt es Ringe oder Türrahmenstangen für zu Hause, oder „Outdoor-Parcours“ als „moderne“ Variante des guten alten Trimm-dich-Pfads, die das Sporterlebnis erheblich bereichern können. 

Leider werden solche „Geräte“ in Deutschland immer noch viel zu selten im öffentlichen Raum aufgestellt. Was unverständlich ist, könnte hier doch mit einfachsten Mitteln erheblich zur allgemeinen Gesundheit und Kraftsteigerung der Bürger beigetragen werden. Ein paar simple (Barren-)Balken, (Reck-)Stangen oder Leitersprossen, mehr braucht es nicht. In den Vereinigten Staaten ist der an das klassische deutsche Turnen erinnernde Sport schon lange ein inzwischen auch kommerzieller Hit. Mit zahlreichen Youtube-Kanälen, Smartphone-Apps und eigenen Marken wie „Barstarzz“ oder „Thenx“. In den Straßen amerikanischer Städte, aber auch auf US-Gefängnishöfen sprießen die Freiluft-Geräte förmlich wie die Pilze aus dem Kachelboden einer Fitneßcenter-Dusche. 

An Reckstangengerüsten in Parks und an Stränden gibt es regelmäßige Wettkämpfe, wer die schwierigsten Klimmzug- oder „Plank“-Kombinationen und -Übergänge schafft, deren Basiselemente einst in Deutschland entwickelt wurden und eigentlich Namen tragen wie „Felge“, „Mühle“, „Nest“ oder „Hangwaage“, die wohl aber den wenigsten noch ein Begriff sein dürften. Inzwischen erfreut sich der sportliche Trend aber auch in Deutschland immer größerer Beliebtheit – kann sich doch im Grunde wirklich jeder gesunde Mensch an ihm beteiligen. 

Zu den deutschen Städten, die bereits kleinere oder größere Calisthenics-Parkbereiche anbieten, gehören unter anderem Berlin, Karlsruhe, Stuttgart, Aschaffenburg und Reutlingen. Eine Auflistung von Sportanlagen in seiner eigenen Nähe findet man im Internet unter www.calisthenics-parks.com. Auch eigene Wettkampfveranstaltungen gibt es in Deutschland mittlerweile. In Dessau fand in diesem Jahr bereits zum dritten Mal die Deutsche Meisterschaft im Calisthenics und Street Workout 2019 statt. Von dem Boom in anderen Ländern ist man im Ursprungsland leider trotzdem noch weit entfernt. Vielleicht ist das Fitneßvergnügen für so manch deutschen Freizeitsportler einfach nicht kostspielig genug.