© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/19 / 18. Oktober 2019

Stürmische Zeiten für AKK
CDU: Junge Union stimmt auf dem Deutschlandtag für Urwahl des Kanzlerkandidaten / Friedrich Merz steht bereit
Hinrich Rohbohm

Die Signale könnten deutlicher kaum sein. Als Friedrich Merz am vergangenen Freitag auf dem Deutschlandtag der Jungen Union in Saarbrücken die Bühne betritt, brandet schon gleich zu Beginn euphorischer Beifall auf. Eigentlich hatte er nur ein Grußwort halten sollen. Es wird eine 30minütige Bewerbungsrede für eine vielleicht früher als erwartet eintretende Kanzlerkandidatur. Sie endet mit einem Satz, der deutlicher kaum ausfallen könnte: „Wenn Sie wollen, daß ich dabei bin, dann bin ich dabei.“

Es folgt mehr als fünf Minuten andauernder Applaus. Kein pflichtschuldiges, rhythmisches Klatschen, wie es zwei Tage später bei AKK folgen sollte. Es ist Freude aus vollem Herzen, die die Delegierten nach der Rede von Merz aus sich herauslassen. Deutschland-Fahnen werden geschwenkt, blaue Schilder in die Höhe gereckt. „Mehr Sauerland für Deutschland“ steht drauf. „Ohhh, wie ist das schöööön...“ fangen die Delegierten nun in der Kongreßhalle an zu singen, wollen damit gar nicht mehr aufhören. Es ist eine Euphorie, die sich nach Jahren inhaltlicher Leere während der Merkel-Ära Bahn bricht und sich in Friedrich Merz zu manifestieren beginnt. 

JU verhinderte Nico Lange als Bundesgeschäftsführer

Ursprünglich war der gebürtige Sauerländer gar nicht als Referent auf dem JU-Deutschlandtag vorgesehen. Ein unausgesprochenes Zugeständnis an die aus dem Saarland stammende Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Doch der 57jährigen sind Fehler unterlaufen. Fehler, die ihr der Parteinachwuchs übelnimmt. Und die mit dazu führten, daß ein ehemaliger Landesgruppenchef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sowie ein ehemaliger JU-Bundesvize den überraschenden Besuch von Friedrich Merz auf dem Deutschlandtag einfädelten. Noch dazu am Freitag abend. Unmittelbar vor der Abstimmung über einen Antrag, der es in sich hat. Denn die Junge Union will den künftigen Kanzlerkandidaten der Union per Urwahl durch die Parteibasis bestimmen lassen. 

Als AKK zwei Tage später zur JU spricht, ist bereits alles gelaufen, der Antrag mit über 60 Prozent Zustimmung angenommen. Der Empfang für sie ist höflich, aber nicht herzlich. Starken Applaus erhält sie dennoch, wenngleich die Spitzen zwischen ihr und Kuban  weitergehen. „Ohne die JU geht nichts im Wahlkampf“, sagt Kuban bei der Redeankündigung von AKK. Die gibt die versteckte Botschaft zurück. „Als ehemalige JUlerin weiß ich: Der Sonntag morgen ist die härteste Zeit des Deutschlandtages“, erklärt sie und blickt Tilman Kuban angesichts des undankbaren Termins eindringlich an.

Die gegenseitigen Spitzen haben ihren Grund. Nico Lange, engster Mitarbeiter von AKK, hatte die Junge Union zum Mitschuldigen an der Niederlage bei der Europawahl erklärt. „Vollkommen absurd, das ist bei sehr vielen übel aufgestoßen“, erzählt ein JU-Delegierter der JF.  Die JU revanchierte sich, verhinderte Lange als neuen CDU-Bundesgeschäftsführer. Auch die Übernahme des Verteidigungsministeriums durch AKK entgegen vorherigen Beteuerungen, sich auf den Parteivorsitz zu konzentrieren, kommt beim Nachwuchs schlecht an. 

Es sind der niedersächsische Landesvorsitzende Christian Fühner sowie Oldenburgs JU-Chef André Hüttemeyer, die sie dafür im Plenum öffentlich kritisieren. Und auch ihre Mali-Reise sorgte für Unmut. „Jens Spahn darf nicht nach Mali, um ihr nicht die Show zu stehlen. Die hat doch den Schuß nicht gehört“, schimpft ein JU-Ortsvorsitzender. 

Zwischen ihr und JU-Chef Tilman Kuban stimmte die Chemie von Anfang an nicht. Der Antrittsbesuch Kubans bei AKK nach dessen Wahl wird von  vielen als frostig beschrieben. Auch deshalb erweist sich der JU-Deutschlandtag für die CDU-Chefin als unangenehm.

Tilman Kuban schreitet zum Rednerpult. Die Ärmel seines weißen Hemdes sind hochgezogen. Sein Blick verrät: Es wird eine angriffslustige Rede. So, wie er sie schon vor einem halben Jahr gehalten hatte. Da hatte sich der Niedersachse entgegen Prognosen und Kalkül des Unions-Establishments gegenüber seinem von den Medien favorisierten Kontrahenten Stefan Gruhner aus Thüringen in einer Kampfabstimmung überraschend deutlich durchgesetzt.Kuban vermittelt den Eindruck des genauen Gegenteils dieses linksliberal angegrünten Polit-Establishments, jenes oft als Berliner Blase verpönten Milieus. 

Sein weißes Oberhemd darf schon mal zerknittert sein. Seine Reden sind auf Bierzelt-Atmosphäre und klare Kante gepolt. Rhetorisches Risiko statt gefahrlos-karrieristisches Platitüden-Geplapper. Seine Mitstreiter nennen ihn daher schon mal „Rampensau.“ Auf dem Podium steht Bier statt stilles Wasser. Der 32jährige gießt es nicht ins Glas, er trinkt aus der Buddel. Wie auf’m Bau. Die Kameras und irritierten Blicke der Prenzlauer Berg-Journalisten stören ihn nicht. Im Gegenteil. Er kokettiert mit dieser Symbolik, gibt auch Friedrich Merz eine Flasche aus. Und öffnet auf der Bühne in Handwerker-Manier mit Feuerzeug statt Öffner.

Entsprechend ist der Duktus seiner Rede gekennzeichnet. „Klare Kante“ will er zeigen. Bodenständigkeit statt Abgehobenheit. Er kritisiert die „Berliner Blase“ und Klimahysterie. „Es soll auch noch Leute geben, die im Sommer nach Malle fliegen.“ Gejohle im Plenum. Die Politik müsse sich wieder stärker „an der Lebensrealität der Menschen orientieren“. Starker Applaus. Die „Rampensau“ verbreitet im Plenum christdemokratischen Stallgeruch, schaltet weiter auf Attacke. 

„Wir laufen zu sehr den Grünen hinterher“, moniert der gelernte Rechtsanwalt. Schon das ist nicht nur als ein Angriff auf die von ihm bezeichnete „rot-rot-grüne Trümmertruppe“ zu verstehen, sondern auch als Appell an die eigene Parteiführung. „Hätte die Parteiführung auf die Junge Union gehört, hätte sie sich manches Video ersparen können“, verteilt Kuban sowohl einen Seitenhieb in Richtung AKK, als auch in die seines Amtsvorgängers, des heutigen CDU-Generalsekretärs Paul Ziemiak.

Nach dessen Rede posieren beide geeint vor den Kameras der Medien. Doch innerhalb der JU ist es ein offenes Geheimnis, daß Ziemiak damals Stefan Gruhner als Nachfolger favorisierte. Teile des Unionsnachwuchses haben ihm zudem bis heute nicht verziehen, daß er sich bei der Stichwahl gegen Merz und für AKK ausgesprochen hatte. „Daß er dann im Gegenzug Generalsekretär wurde, hatte schon ein Geschmäckle“, gibt ein langjähriger JU-Deutschlandtagsdelegierter gegenüber der JF die Stimmung wieder. 

Auch Friedrich Merz läßt sich eine Spitze gegen Ziemiak nicht nehmen. „Wir müssen wieder in der Lage sein, Begriffe in der politischen Debatte in Deutschland zu prägen.“ Unter dem einstigen CDU-Generalsekretär Heiner Geißler wäre es niemals möglich gewesen, daß die Konkurrenz der Union „in dieser Art und Weise die politische Rhetorik abnimmt“.

„Leute haben die Schnauze voll von ‘Weiter so’-Kurs“

Und dann noch das positive Votum für die Urwahl: Eine Ohrfeige für die CDU-Chefin, die weiß: Ohne eine Nominierung durch die zumeist mit Berufspolitikern besetzten Delegierten des Bundesparteitags im November sind ihre Chancen, Kanzlerkandidatin zu werden, deutlich geringer. Daß die noch überwiegend von der Merkel-Zeit geprägten Parteitagsdelegierten einer Urwahl tatsächlich zustimmen, gilt daher eigentlich als unwahrscheinlich. Wäre da nicht die bevorstehende Thüringen-Wahl am 27. Oktober, die angesichts des ‘Weiter so’-Kurses für die Union nichts Gutes erhoffen läßt. 

Bereits jetzt gehen erste einflußreiche CDU-Kreis- und Bezirksvorsitzende, die AKK noch im Dezember vorigen Jahres zur Wahl der Parteivorsitzenden stützten, auf Distanz zur Saarländerin. Philipp Amthor, der sich zuvor noch als AKK-Wähler geoutet hatte, schlendert nun gemeinsam mit Friedrich Merz durch die Ausstellungshallen des Deutschlandtages. Ein Bild, das tief blicken läßt. 

„Die Leute haben die Schnauze von diesem ‘Weiter so’-Kurs voll, selbst unter den CDU-Delegierten“, sagt ein JUler, der selbst auf dem Parteitag mit abstimmen wird. Doch auch wenn es nicht zur Urwahl kommen sollte, ist eine Kanzlerkandidatur von AKK mehr als fraglich. „So etwas wird doch vorher ausgemacht. Auf einem Parteitag ist in der Union noch nie eine Kanzlerkandidatur entschieden worden“, merkt ein hessischer JU-Kreisvorsitzender gegenüber der JF vielsagend an.