© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/19 / 18. Oktober 2019

Freundschaftliche Lösungen
Energiepolitik: Das Urteil des EU-Gerichtshofs verändert den Erdgasmarkt / Angriff auf Gazprom-Monopol?
Albrecht Rothacher

Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand. Das weiß nun auch die EU-Kommission: Sie wurde im September auf Klage Polens vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) verurteilt, ihre auf Wunsch Deutschlands getroffene Entscheidung aufzuheben, dem Gazprom-Konsortium die gänzliche Nutzung seiner Ostseepipeline-Anbindungsleitung (Opal) ausnahmsweise zu gestatten. Normalerweise verlangt das EU-Energierecht, daß auch andere Gasanbieter mindestens hälftig Zugang zu einem Pipelinenetz haben müssen. Gazprom darf also fortan nur 50 Prozent der Opal-Kapazitäten von 36 Milliarden Kubikmeter Erdgas im Jahr nutzen.

Gaskunden haben noch keinen Grund für Panik

EU-Recht hat also Vorrang. Aber es gibt keine anderen Anbieter auf der Opal-Strecke, die – 2011 fertiggestellt – von Lubmin bei Greifswald westlich der Oder 1.200 Kilometer bis nach Böhmen führt. Von dort wird das russische Gas durch die Leitung „Gazelle“ in das bayrische Gasnetz zur Versorgung von Süddeutschland und Österreich eingespeist. Ab der Verdichterstation Radeland bei Baruth/Mark südlich von Berlin gibt es auch eine Abzweigung, die Leitung „Jagal“ ins mitteldeutsche Gasnetz.

In Lubmin endet die Ostseepipeline Nordstream 1, die Gazprom mit Unterstützung des damaligen Kanzlers und ihres jetzigen Aufsichtsratschefs Gerhard Schröder von Wyborg (Wiburg/Viipuri) von Karelien aus hat bauen lassen. Für seine Jahreskapazitäten von 55 Milliarden Kubikmetern kann es zwar noch die ebenfalls in Lubmin beginnende, mit 20 Milliarden Kubikmetern wesentlich kleinere Nordeuropäische Gasleitung (NEL) nutzen, die in Rheden bei Diep­holz endet. Aber für die 55 Milliarden Kubikmeter von Nordstream 2 gibt es nach dem EuGH-Urteil keine Weiterleitungsmöglichkeiten mehr. Wladimir Putin hätte für sein Projekt, die Umgehung Polens, Weißrußlands und der Ukraine, Röhren für zehn Milliarden Euro nutzlos in der Ostsee versenkt.

Polen hatte in seiner Klage die Bedrohung seiner Energieversorgung geltend gemacht, denn Rußland hätte dem Land nach der Ostsee-Umleitung der Transporte zum lukrativen westeuropäischen Markt jederzeit den Gashahn zudrehen können, ebenso wie im Falle der Ukraine anno 2006 und 2009, dann, wenn der Winter kalt ist und zufällig dringende Wartungsarbeiten an den Kompressorstationen anfallen. Obwohl die Niederlande in Groningen schon ab 2022 ihre stark rückläufige Erdgasförderung in der Nordsee wegen örtlicher Erdbeben einstellen wollen, gibt es noch keinen Grund zur Panik. Nur drei Millionen nordwestdeutsche Haushalte müssen von niederländischem L-Gas auf russisches H-Gas umstellen. Für sie und den Rest der deutschen Verbraucher gibt es aber höhere Erdgaspreise – dank des Atom- und Kohleausstiegs und der Kraftwerksumstellung auf Gasbetrieb. Denn Erdgas hat nur die Hälfte des CO2-Potentials von Kohle oder Öl.

Die EU-Kommission will das EuGH-Urteil anfechten, aber das kann drei Jahre dauern. CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier hofft, Erdgas durch Methan (CH4) aus „grünem“ Wasserstoff (H2) ersetzen zu können. Doch beim Power-to-Gas-Verfahren geht praktisch die Hälfte des eingesetzten Windstroms verloren. Realistischer ist es, den Transit über die Druschba-Pipeline über die Ukraine wieder zu regeln, deren Transitabkommen Ende des Jahres abläuft. Der slowakische EU-Kommissionsvize Maroš Šefcovic – 1985 bis 1990 an der Moskauer Diplomatenschule ausgebildet – verhandelte deshalb in Brüssel mit Rußlands Energieminister Alexander Nowak, Gazprom-Chef Alexei Miller, dem neuen ukrainischen Energieminister Oleksy Orzhel und Andrij Koboljew, seit 2014 Chef der ukrainischen Naftogaz, die den Gastransit betreibt. Und ein Wunder geschah: Man war ein Herz und eine Seele.

US-Flüssiggas als neuer potentieller Wettbewerber

Die EU erklärte, ein verläßlicher Kunde zu sein, die Ukrainer wollen ein verläßliches Transitland und die Russen ein verläßlicher Gaslieferant bleiben. Selbst der sonst cholerische Miller zeigte sich von seiner Schokoladenseite. Eine freundschaftliche Lösung und höhere Transitvolumen durch die Ukraine deuten sich an. Preise, Transitgebühren und Volumina des neuen Transitabkommens sollen in einer neuen trilateralen Runde Ende Oktober geklärt werden.

Denn es gibt inzwischen Konkurrenz: Flüssiggas (LNG), das per Spezialtanker transportiert, zwar viel teurer und aufwendiger als Pipelinegas, aber global zu aktuellen Weltmarktpreisen erhältlich ist. In dieses Geschäft sind unter Barack Obama die USA mit ihrem umstrittenen Gas-Fracking groß eingestiegen. Derzeit wird hauptsächlich nach Japan, Südkorea und Taiwan verkauft, wo die LNG-Preise in Ermangelung von Pipelinegas viel höher sind. LNG-Terminals gab es bislang nur in Südeuropa für Erdgas aus Algerien, Libyen oder Katar. Nur Polen baute aus politischen Gründen einen LNG-Terminal in Swinemünde (Swinoujscie, JF 51/18). Deutschland will zur Freude Donald Trumps vor Wilhelmshaven und Brunsbüttel auch LNG-Terminals bauen.

Das EuGH-Urteil könnte auch das Ende des Export- und Pipelinemonopols von Gazprom beschleunigen. Mit mehr russischen Anbietern gäbe es bei der vollen Nutzung von Opal und Nordstream 2 kein Problem mehr. Doch Gazprom spielt als weltgrößter Erdgasproduzent eine Doppelrolle: Zum einen ist der Konzern ein Selbstbedienungsladen der Kreml-Kamarilla aus St. Petersburger Geheimdienstkreisen, die nach zwei Jahrzehnten Putin-Herrschaft das lukrative Monopol voll im Griff hat. Zweitens stützen die Milliarden-Exporterlöse die Gaspreise im Inland. Eine Quersubvention, die in Industrie und in Haushalten das Energiesparen überflüssig macht. Der Wettbewerb auf dem russischen Gasmarkt könnte ein politisches wie ökonomisches Erdbeben auslösen.

Nordstream 2 steht zudem auf der Sanktionsliste des US-Senats. Gazprom-Partnerfirmen wie die BASF-Tochter Wintershall, Uniper, der an die finnische Fortum verkaufte Eon-Rohstoffarm, die österreichische OMV, Engie (Électricité de France) und die anglo-niederländische Shell sind in der Washingtoner Feuerlinie. Fast alles hängt nun von den Launen des amerikanischen Politikbetriebes ab. Der ist vom Wahlkampf 2020 ebenso abgelenkt wie vom Amtsenthebungsverfahren gegen Trump und den dubiosen Geschäften von Hunter Biden (Sohn des Ex-Vizepäsidenten und Trump-Herausforderers Joe Biden) im Gas-Sumpf der Ukraine. Wenn Rußland sich bezüglich der Ukraine wieder wohl verhält, wären die US-Sanktionen obsolet. Und so könnte ein offensichtlich absurdes Urteil unverhofft über Umwege doch noch sehr segensreich wirken.

 www.opal-gastransport.de

 www.nord-stream2.com

 LNG-wilhelmshaven.com

 germanLNG.com