© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/19 / 18. Oktober 2019

Letzte Ruhe in Langemark
Gedenken an Gefallene des Ersten Weltkriegs: Umbettung der 84 deutschen Soldaten des Projekts „Dig Hill 80“ / Nicht nur Pappsärge führen zu Irritationen
Mina Buts

Vierundachtzig schlichte schwarze Särge aus Pappe, eher lieblos zusammengetackert, jeder geschmückt mit einer schwarzrotgoldenen Schärpe und einer weißen Rose: Das war alles, was von den deutschen Soldaten, die im vergangenen Jahr bei Ausgrabungen in Wijtschaete gefunden wurden, übriggeblieben war. 

Lediglich zwei von ihnen konnten identifiziert werden. Einer davon ein Glasschleiferlehrling aus dem Nürnberger Raum, eingezogen am 22. Oktober 1914 mit gerade einmal 17 Jahren. Zehn Tage überlebte er, in der ersten großen Schlacht um Wijtschaete am 1. November war er einer von 1.500 Gefallenen – Kopfschuß. 82 hingegen blieben namenlos. Sie alle wurden in der vergangenen Woche in einer Gedenk- und Einbettungsveranstaltung auf dem Deutschen Soldatenfriedhof in Langemark/Westflandern beigesetzt. 

Dem belgischen Verantwortlichen des  Volksbundes  Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VdK), Yvan Vandenbosch, ist es zu verdanken, daß dies eine würdige Veranstaltung wurde. Er hatte keine Mühe gescheut: Der Friedhof von Langemark, auf dem über 44.000 deutsche Gefallene des Ersten Weltkriegs ruhen, war herausgeputzt und über und über mit Blumen geschmückt. 

Abordnungen aus Großbritannien, Kanada, Belgien und Deutschland, die schon am Vortag in Wijtschaete die dreizehn britischen Soldaten, die ebenfalls bei der Ausgrabung gefunden worden waren, beerdigt hatten, waren auch gekommen.

 Die Königliche Musikkapelle der belgischen Luftwaffe und ein gemeinsames deutsch-britisches Schulchorprojekt sorgten für die musikalische Umrahmung, einige Teilnehmer waren in historischen Uniformen erschienen. In einer ökumenischen Andacht wurden die Gebeine der Toten gesegnet. 

VdK ließ „Dig Hill 80“ zunächst links liegen 

Der Leiter des Projekts „Dig Hill 80“, Simon Verdegem, hatte im vergangenen Jahr gemeinsam mit dem deutschen Historiker Robin Schäfer und seinem britischen Kollegen Robert Doyle durch ein Crowdfunding-Projekt das nötige Geld für die Ausgrabung zusammengebracht, bei der mehr als 100 Gefallene des Ersten Weltkriegs gefunden worden waren.  

Verdegem warb in seiner Ansprache, die Gefallenen nicht vergessen zu lassen: „Junge Burschen, Männer, Väter, Söhne, Brüder, Geliebte, Kampfgefährten, deren größte Angst Wirklichkeit geworden ist. Verschlungen von der Erde, dem Schlamm, dem Feuer. Sie möchten gefunden werden und verdienen eine würdige, letzte Ruhestätte.“

„Fakenews“, so der Präsident des VdK, Wolfgang Schneiderhan, in seiner Ansprache, habe es schon damals gegeben. Die Soldaten seien nämlich keinesfalls singend in die Schlacht gezogen, sondern von ihren Offizieren dort „hineingetrieben“ worden. Der Flämischen Regierung dankte er für die Restaurierung und Instandhaltung der deutschen Friedhöfe des Ersten Weltkriegs. 

„Auf diesem Friedhof“, so Schneiderhan weiter, „gibt es die Inschrift: ‘Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen’, eine Zeile aus dem Gedicht ‘Soldatenabschied’ von Heinrich Lerch aus dem Jahr 1916. An diesem Satz ist alles falsch. Deutschland, Belgien, Polen, Europa – sie werden nur leben, wenn sie nicht im Kampf gegeneinander sterben, sondern miteinander das Morgen friedlich gestalten.“

Wäre es nach dem Willen des VdK gegangen, wäre wohl nicht einmal das Projekt „Dig Hill 80“ unterstützt worden: Mehrere Anfragen der Projektleiter waren unbeantwortet geblieben, erst auf Nachfragen des verteidigungspolitischen Sprechers der AfD-Bundestagsfraktion, Rüdiger Lucassen, flossen dann doch 25.000 Euro. 

Kranz der Ritterkreuzträger wird „gleich verschwinden“ 

Höhepunkt sollte die Rede des deutschen Botschafters in Belgien, Martin Kotthaus sein, der jedoch die EU, den Klimaschutz, Wachstum, Vielfalt und Toleranz beschwor und als Zeichen seiner Internationalität deutsch, englisch und niederländisch im Wechsel sprach.  Eines vergaß er im Eifer seiner Rede allerdings zu erwähnen die 84 Gefallenen deretwegen man zusammengekommen war. 

Nach Kotthaus’ Ansprache durften die von der Bundeswehr entsandten Sanitätssoldaten acht Särge symbolisch beerdigen und die Blumengebinde und Kränze auf das Massengrab legen. Sie waren angewiesen worden, den Kranz der „Ordensgemeinschaft Deutscher Ritterkreuzträger“ dabei auszusparen. Dieser wurde erst nach dem Ende des offiziellen Teils niedergelegt „und wird auch gleich wieder hier verschwinden“, wie einer der Bundeswehrsoldaten erklärte. 

Einziger anwesender deutscher Parlamentarier war Rüdiger Lucassen, der gegenüber der JF erklärte: „Es bewegt mich sehr, an diesem Ort zu stehen, an dem Zehntausende deutscher Soldaten ihre letzte Ruhe fanden. Aber ich bin entsetzt und beschämt, wie wenig Würde bei diesem offiziellen Gedenkakt von deutscher Seite den 84 Toten entgegengebracht wird. Daß selbst bei so einem Totengedenken von den deutschen Vertretern politische Kampfreden gegen Populismus und für Klimaschutz geschwungen werden, das hätte ich nicht für möglich gehalten. Es stimmt mich in doppelter Hinsicht traurig.“