© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/19 / 18. Oktober 2019

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Wochenendausflug nach Warnemünde an den Ostseestrand. Abkehr vom Alltag. Horizonterweiterung. Frischluft für den Geist. Herzensbildung. Wie dichtete einst Christian Morgenstern in „Am Meer“? „Wie ist dir nun,/ meine Seele?/ Von allen Märkten/ des Lebens fern,/ darfst du nun ganz/ dein selbst genießen.//Keine Frage/ von Menschenlippen/ fordert Antwort./ Keine Rede/ noch Gegenrede/ macht dich gemein./Nur mit Himmel und Erde/ hältst du/ einsame Zwiesprach.“ Und tatsächlich: Lange Strandspaziergänge, der weite Himmel, das Rauschen der Wellen, die Seeluft und, ja, auch das Kreischen der Möwen sind Balsam für die geschundene Großstadtseele. Es verlieren sich die Gedanken in Raum und Zeit, bis sich wie von selbst Wichtiges von Umwichtigem trennt und eine Fokussierung auf das eigentliche Dasein im Gegensatz zum bloßen Vorhandensein einstellt. Für das leibliche Wohl sorgen unterdessen Fischbrötchen im Hafen, „Neptuns Stulle“ zu einem Grauburgunder im Restaurant „Weineck“ direkt an der Strandpromenade sowie abends deftiges Essen zu Folk- und Rockmusik im Wirtshaus „Alabama“ unmittelbar am Leuchtturm von Warnemünde. Den Abschluß bildet dann noch einmal Lyrik, jetzt Joachim Ringelnatz: „Hinaus an den Strand will ich gehen,/ Wenn keiner wacht/Das wilde Meer zu sehen/ Und die heilige Nacht./ Und wieder faßt mich das alte Weh –“


Eine Tankstelle im mecklenburgischen Nirgendwo: Ein 5er-BMW hält direkt vor der Schiebetür. Auf der Beifahrerseite springt ein kleiner gedrungener Mann aus dem Auto. Auf seinem schwarzen T-Shirt stehen vorn in weißer Schrift die drei Buchstaben WAW. Des Rätsels Lösung ergibt sich, als der Mann an mir vorbeieilt und ich den Rückenaufdruck lesen kann: Weißer Arischer Widerstand.


In Warnemünde entdecke ich das Edvard-Munch-Haus. Der norwegische Maler lebte dort von Mai 1907 bis Oktober 1908, suchte Ruhe und Erholung von seinen Depressionen. In dieser Zeit entstand unter anderem das großformatige Bild „Badende Männer“, mit dem Munch einen veritablen Kunstskandal heraufbeschwor. Sein Hamburger Galerist weigerte sich, das Gemälde mit der Darstellung vitaler nackter Männlichkeit auszustellen. Heute dient das alte denkmalgeschützte Fischerhaus Am Strom 53, wie eine Fensteraufschrift informiert, Künstlern aus Deutschland und Norwegen als „zeitweiliger Arbeits-, Lebens- und Begegnungsort“. Getragen wird es von einem Förderverein, der Ausstellungen, Lesungen und Konzerte organisiert (www.edvard-munch-haus.de).