© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/19 / 18. Oktober 2019

Dem Druck nicht standgehalten
Kirche: Nach der Rücktrittsankündigung von Sachsens Landesbischof Carsten Rentzing hält die Diskussion um Vorwürfe gegen ihn weiter an
Gernot Facius

Der Mann hat geahnt, daß er in seinem Amt nicht glücklich werden würde. „Ich werde von allen Seiten Schläge bekommen. Darauf bin ich emotional vorbereitet“, sagte Carsten Rentzing im Sommer 2015 wenige Wochen nach seiner Wahl zum Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. War er wirklich vorbereitet? Zweifel darf man haben. Denn auf die Anwürfe aus der Mitte seiner Kirche, genauer: von über 800 Personen, wegen einer angeblichen „rechtsnationalen“ Gesinnung hat der promovierte Theologe unprofessionell oder zumindest kopflos reagiert.

Der 1967 in Berlin-Spandau geborene Lutheraner stellte nach einer Debatte über seine Mitgliedschaft in einer schlagenden Studentenverbindung („Alte Prager Landsmannschaft Hercynia“) und seine redaktionelle Arbeit für die von 1989 bis 1992 existierende Zeitschrift Fragmente, Untertitel: „Das konservative Kulturmagazin“ sein Amt „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ zur Verfügung. Es half nichts, daß er sich pauschal distanzierte und bekundete: „Der Weg in die Kirche hat mich verändert. Positionen, die ich vor 30 Jahren vertreten habe, teile ich heute nicht mehr.“

Dem von seinen Gegnern ausgeübten Druck hielt er nicht stand. Ihm wurde auch noch zur Last gelegt, in der Berliner Bibliothek des Konservatismus einen Vortrag gehalten zu haben: 2013 – zwei Jahre vor seiner Wahl zum sächsischen Landesbischof. Die Bibliothek, darauf wies der Vorstandsvorsitzende der evangelischen Nachrichtenagentur idea, Helmut Matthies, hin, wird von einem lutherischen Pfarrer geleitet. Matthies: „Deutsche Kirchenleiter reden selbstverständlich auch vor einem linksorientierten Publikum. Selbst Kommunisten, die für die Stasi gearbeitet haben, sind als Gesprächspartner in westliche kirchliche Akademien eingeladen worden. Und nun soll es ein Vergehen sein, vor konservativem Publikum über ein kirchliches Thema zu referieren? Gehören Konservative etwa nicht zur Kirche?“ Gute Frage.

Gewiß, Rentzings Räsonieren in der Zeitschrift Fragmente über „Fehler des demokratischen Systems“ und seine damaligen kritischen Bemerkungen über den „Siegeszug westlicher parlamentarisch-demokratischer Staatsvorstellungen“ mögen bei heutiger Betrachtung  geschmäcklerisch sein. Es ist allerdings nirgendwo belegt, daß er sie später wiederholt hat. Und: Der Autor war ein Jüngling von 22 bis 25 Jahren, als er die Texte während seines Studiums zu Papier brachte. Dennoch titelte die Frankfurter Allgemeine: „Ein Verschweiger vor dem Herrn“.

Er polarisierte mit seiner Haltung zur Homo-Ehe

Anders äußerte sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Alexander Krauß: „Hier hat ein Kesseltreiben gegen den Bischof stattgefunden. Carsten Rentzing stand für eine glaubensfrohe Kirche, die dem Zeitgeist widerstand.“ Vermutlich hat der Politiker nicht ganz unrecht. Zur Erinnerung: Rentzing war 2015 von einer Sondersynode erst nach sechs Wahlgängen mit einer Stimme Mehrheit zum Landesbischof gewählt worden. Klar, er polarisierte. Er lehnte eine Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe zwischen Mann und Frau entschieden ab: aus theologischen Gründen. Zugleich wandte er sich aber gegen jegliche Diskriminierung Homosexueller.

Und anders als seine Bischofskollegen in anderen Landeskirchen lehnte Rentzing auch Gespräche mit der AfD nicht rundweg ab. Das machte ihn verdächtig, vermehrte die Zahl seiner Gegner, die Dossiers über die Vergangenheit des Theologen zusammentragen ließen. „Bei manchen Kommentaren ist geradezu eine klammheimliche Freude zu spüren, daß der einzige dezidiert konservative Landesbischof in der EKD endlich aufgegeben hat“, konstatierte Helmut Matthies.

„Die Krise war mit seiner Wahl programmiert. Denn ein Landesbischof, der in einer Kampfabstimmung mit einer Stimme Mehrheit, also wahrscheinlich mit seiner eigenen, gewählt wird, kann nicht integrativ wirken“, sagte der ehemalige Erste Pfarrer der Leipziger Thomaskirche, Christian Wolff, ein Rentzing-Kritiker. „Er hat nicht zusammengeführt, er hat die Landeskirche nicht geistlich geleitet. Er blieb gefangen in seiner Vergangenheit.“  

Der Landesbischof war beliebt bei den Gläubigen, aber nicht bei allen Pfarrern. Auf der Facebook-Seite der Kirchenzeitung Sonntag nannten viele Leser die Rücktrittsentscheidung „traurig“ und „überflüssig“. Andere kommentierten: „Ich bedauere es sehr, auch wenn ich höchsten Respekt davor habe, daß unser Bischof die Einheit der Kirche höher bewertet als seine Person. Ich frage mich, ob die, die die ganze Misere mit ihren Anschuldigungen und überzogenen Rücktrittsforderungen verursacht haben, auch nur mal im entferntesten an die Einheit der Kirche gedacht haben. Ich bezweifle es.“

Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, daß sich in der Causa Rentzing wieder einmal eine laute Minderheit durchgesetzt hat – wie in den Debatten über die Gleichstellung homosexueller Partnerschaft mit der Ehe.

Von Teilen seiner Kirche wurde Rentzing gemobbt

Die sächsische Landeskirche mit ihren rund 700.000 Mitgliedern weist den durchschnittlich höchsten Gottesdienstbesuch an Sonntagen auf. Wenn man so will fast ein Alleinstellungsmerkmal im deutschen Protestantismus.  Kommentar des idea-Leiters Matthias Pankau, eines sächsischen Pfarrers: „Wenn 800 von 700.000 Mitgliedern mit dem Landesbischof unzufrieden sind und eine Petition unterzeichnen, dann sind das genau

0,1 (!) Prozent. Repräsentativ ist das nicht. Das ist ein Witz! Und genau das spiegelte sich in den sozialen Medien wider.“  Das Bedauern, so Pankaus Beobachtung, überwog bei weitem: „Ein trauriger Tag für unsere Landeskirche.“ Oder: „Ich bin fassungslos. Etwas Schlimmeres konnte der sächsischen Landeskirche nicht passieren …“ 

Wie erklärte Carsten Rentzing seinen Rückzug vom Bischofsamt? Er sei 2015 angetreten mit dem Wunsch, die verschiedenen Positionen innerhalb der Landeskirche wieder einander näher zu bringen. „Mein oberstes Ziel war und ist die Einheit der Kirche. Ich muß mit großem Bedauern feststellen, daß die aktuelle Diskussion um meine Person diesem Ziel schadet.“

Gegenüber den Mitgliedern des Landeskirchenamtes unter seinem Präsidenten Hans-Peter Vollbach erklärte er, die damalige Zeit und seine Texte „verdrängt“ zu haben. Auf Nachfragen dazu habe er „großes Unverständnis und Scham über das, was er damals geschrieben hat“, geäußert. Hätte er offensiver, konkreter und transparenter mit den Vorwürfen umgehen sollen? Die Frage ist berechtigt. Doch hätte es noch etwas bewirkt? Nochmals Pfarrer Matthies, der dem Bischof auf Synoden begegnet ist: „Rentzing wurde auch von Teilen seiner Kirche gemobbt. Er erklärte mir gegenüber schon früher offen, daß er in leitenden Gremien seiner Landeskirche wie in der EKD mit seinen Ansichten allein stünde.“

Die evangelische Kirche bezeichnet sich gern als „Kirche der Freiheit“, spricht von Toleranz und Teilhabe. Aber wie die Vorgänge um Rentzing zeigen, gilt das nicht für die theologisch Konservativen.