© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/19 / 18. Oktober 2019

Atemverschlagende Einfalt
Wie im Namen Friedrich Eberts der UN-Migrationspakt nachhaltig vernebelt wird
Wolfgang Müller

Felix Braunsdorf, Jahrgang 1986, Politologe, ist Referent für Migration und Entwicklung in der Abteilung Internationale Entwicklungszusammenarbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung. In einem Beitrag für die als Sprachrohr des Auswärtigen Amtes (AA) geltende Zeitschrift Vereinte Nationen (4/2019) setzt er das 2015 verabschiedete UN-Programm über die bis 2030 zu erreichenden „nachhaltigen globalen  Entwicklungsziele“ (Sustainable Development Goals – SDGs) in Beziehung zu dem Ende 2018 in Marrakesch auch von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichneten „Globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration“ (UN-Migrationspakt). 

Zwischen den ökonomisch-ökologischen Nachhaltigkeitszielen und denen des Migrationspakts gibt es eine Reihe von Konvergenzen, weil im orwellschen Neusprech und Doppeldenk der UN-Strategen Einwanderung per se Entwicklung ist, ein Motor für Wachstum und Wohlstand in den „Herkunfts-, Transit- und Zielländern“ der „Vertriebenen, Flüchtlinge, Migranten“. Zur Umsetzung, Überwachung und Überprüfung der migrationsrelevanten Entwicklungsziele hat die New Yorker Weltregierung im Wartestand daher einen Herrschaftsapparat etabliert, der in seiner ursprünglichen Irrationalität und Anonymität an Franz Kafkas „Schloß“ erinnert, diesem literarischen Sinnbild eines selbstzweckhaften, labyrinthischen, zutiefst menschenfeindlichen Bürokratie-Monsters.

In diese verschachtelte Architektur des UN-Schlosses versucht Braunsdorf einen groben Einblick zu gewähren. Die wichtigsten der Gremien und Foren heißen in der bombastisch-blumigen Rhetorik ihrer Urheber: Hochrangiges Politisches Forum für Nachhaltige Entwicklung (HLPL), Überprüfungsforum Internationale Migration (IMRF), Globales Forum für Migration und Entwicklung (GFMD) – das sich neuerdings nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) geöffnet hat – Hochrangiger Dialog über Internationale Migration und Entwicklung (HLDIMD), Internationale Organisation für Migration (IOM), Organisationsübergreifende Sachverständigengruppe für SDG-Indikatoren (IAEG-SDG), UN-Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC), Globale Gruppe für Migrationsfragen (GMG). Ihnen allen unentbehrlich ist die UN-Statistikkommission (STATCOM). 

Die Idee, daß diese vielen Köche den Brei verderben könnten, kommt Braunsdorf nicht einmal im Traum. Dabei hätte das gerade in Afrika offenbar gewordene Scheitern des ehrgeizigsten, allein von China und Indien aus eigener Kraft locker erreichten Ziels des UN-Millennium-Programms 2000, die Zahl der Hungernden und Armen in der Welt bis 2015 zu halbieren, leise Zweifel an der Steuerungskompetenz von Global Governance wecken müssen. 40 Prozent der Afrikaner zählten auch 2015 zu den „extrem Armen“, 800 Millionen litten und leiden Hunger, weil das ungebremste Bevölkerungswachstum eine weitere Eindämmung des Elends zuverlässig verhindert, so daß die UN-Sozialingenieure inzwischen das Ventil „Migration“ Richtung Europa geöffnet haben.   

Glatt vergessen hat Braunsdorfs nebelwerfendes „Wer ist wer“ im „Migrations-Management“ auf „Multi-Akteurs-Plattformen“ die wohl einflußreichste Lobbyagentur: das Global Agenda Council for Migration (GACM) des Davoser Weltwirtschaftsforums (WEF). Das wiederum die Repräsentanten von 1.000 Konzernen, Trägern der globalisierten Billiglohnökonomie, sowie postdemokratisch operierende Milliardäre vom Schlage des Megaspekulanten George Soros in einem Club versammelt, der, wie es in der Eigenwerbung heißt, „an keinerlei nationale Interessen gebunden“ ist. Das als gemeinnützige Stiftung anerkannte vermeintliche Philanthropen-Forum möchte der UN eben nur selbstlos unter die Arme greifen, um „den Zustand der Welt zu verbessern“. Und nebenher auch ein klitzeklein bißchen zu profitieren. Denn „Migration ist gut fürs Geschäft“. Wie ein Council-Papier von 2013 dekretiert, das vermutlich per Zufall zur Vorlage für den UN-Migrationspakt geriet. 

„Nachhaltige Wirkung“ der Geldtransfers aus Europa 

Hier wäre Braunsdorf an der richtigen Adresse, um halbwegs „Fluchtursachenminderung“ durch Korrekturen jener „Schieflagen in der Welthandelspolitik“ anzumahnen, von denen er kaum zu flüstern wagt. Es ist schon erstaunlich, wie gründlich ein linker Politologe das in seinem Metier einst übliche „kritische Hinterfragen“ verlernt hat, weil es ihm dann leichter fällt, die politische Ökonomie des „Großen Austausches“ genauso auszublenden wie die Lebensinteressen der am meisten von der Einwanderung in die deutschen Sozialsysteme betroffenen früheren SPD-Klientel. 

Stattdessen plappert der Friedrich-Ebert-Referent die prahlerische „High-Level“-Poesie der notorischen versagenden „Weltverbesserer“ vom Hudson River nach wie Merseburger Zaubersprüche. Weil angeblich besonders nachhaltig wirkend, preist er deshalb den zu erleichternden Geldtransfer derer an, die es ins westeuropäische Butterfaß schaffen, damit sie ihren allenfalls reproduktiven Lieben daheim mit vornehmlich deutschen Steuermitteln arbeitslose Existenzen prolongieren können. Statt dieses „Unterziel 10.c“ als das zu kritisieren was es ist, eine von zahllosen dummdreisten Täuschungen, die den Migrationspakt in toto wie eine moderne Variante mittelalterlicher Visionsliteratur à la Mechthild von Magdeburg aussehen lassen.

Ungeachtet seiner exzeptionell atemverschlagenden Einfalt ist Felix Braunsdorf nur ein winziges Rädchen im Überbau der Bunten Republik. Das aber in dessen politisch-medialer Maschinerie noch wie geschmiert läuft. Und das doch jedem, der neugierig hinlinst, deren Haarrisse anzeigt.