© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/19 / 18. Oktober 2019

Naiver Patriot oder Verräter?
Der Fall Otto John gab in Ost und West Rätsel auf
Friedrich-Wilh. Schlomann

Zur überaus großen Bestürzung in Bonn verkündete der DDR-Rundfunk am 22. Juli 1954, der westdeutsche Verfassungsschutzpräsident Otto John hätte sich den DDR-Behörden zur Verfügung gestellt. Einen Tag danach rief dieser „alle Deutschen“ auf, sich für die Wiedervereinigung einzusetzen; die Politik Adenauers mit seiner Anbindung an den Westen vertiefe die Spaltung Deutschlands. 

Tatsächlich war John in dieser Sorge, zu der sein Geltungsbedürfnis und die Überschätzung seiner Möglichkeiten sowie andererseits die Unterschätzung der sowjetischen Bedrohung hinzukamen, freiwillig nach Ost-Berlin gefahren. Er wollte dort mit führenden Politikern über die deutsche Einheit sprechen und dann nach Köln zurückkehren. Der Idealist Otto John war einer der wenigen Überlebenden der Attentäter gegen Hitler; geprägt in traditionell preußischen Tugenden, hatte er während der Zweiten Weltkriegs Kontakt zu Widerstandskreisen. Als Lufthansa-Angehöriger sollte er sich 1944 in ihrem Auftrag um einen Separatfrieden mit London bemühen, was völlig mißlang. 

Johns erst Mitte August 1954 erfolgende Pressekonferenz in Ost-Berlin ließ indes deutlich erkennen, daß seine Worte nicht von ihm stammten und er dort unfreiwillig festgehalten wurde. Er geriet in die Fänge des KGB, unter deren Druck er in Moskau wahrscheinlich zwei V-Männer des Bundesverfassungsschutzes preisgab. 

Zu aller Überraschung der Stasi kehrte er Mitte Dezember 1955 nach West-Berlin zurück – Moskau hatte ohnehin kein Interesse mehr an ihm. Trotz seiner öffentlichen Aussagen in Ost-Berlin war er dabei in seinem Glauben gefestigt worden, hier keine Strafverfolgung befürchten zu müssen. Tatsächlich wurde er 1957 vom Bundesgerichtshof zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt ohne die Möglichkeit einer Berufung. Das Urteil war sehr umstritten, zumal der Eindruck entstand, dem Richter fehle es an neutraler Haltung. 

Zwar wurde John bald von Bundespräsident Heuss begnadigt, doch trotz fünf Wiederaufnahmeanträgen wurde er nie rehabilitiert. Die Autoren glauben mit ihrem sehr gut recherchierten Buch eine abschließende Beurteilung des „Falls John“ vornehmen zu können – doch auch für sie bleiben die Akten in Moskau verschlossen.

Benjamin Carter-Hett, Michael  Wala: Otto John. Patriot oder Verräter. Eine deutsche Biographie. Rowohlt-Verlag, Reinbek 2019, gebunden, 409 Seiten, 25 Euro