© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/19 / 18. Oktober 2019

Der Flaneur
Neue Liegen in der Stadt
Paul Leonhard

Die Stadtgärtner haben den Auftrag des Rates umgesetzt. Im Zentrum gibt es einen Zierplatz weniger und eine Liegewiese mehr. Den ganzen Sommer über war das Geviert durch einen Maschendrahtzaun abgesperrt, damit der neue Rasen sich verfestigen konnte. Jetzt im Herbst ist alles freigegeben. „Liegewiese“ steht auf einem Metallquader neben dem Gehweg. „Für Hunde verboten“.

Auf dem grünen Rasen verteilt stehen zehn wetterfeste, weißgestrichene Liegen aus Metall. Ich rücke mir eine der Liegen zurecht, Blickrichtung in die noch wärmende Mittagssonne. Trotz ihrer kleinteiligen Metallgitterliegefläche ist die Liege bequem. Ich krame die Tageszeitung hervor und vertiefe mich in die Lektüre.

Fast alle Liegen sind besetzt. Auf dreien sitzen Jugendliche und diskutieren angeregt, zwei weitere hat eine dicke Oma okkupiert, die auf russisch belehrend auf ein blondgelocktes Mädchen einredet. Ein Stück weiter hat es sich eine Mittdreißigerin bequem gemacht und schreibt emsig in ein Heft.

Wo vorhin die deutschen Jugendlichen diskutiert haben, sitzen nun zwei Afrikaner.

Ich döse ein, bis mich arabische Laute aufschrecken. Eine Gruppe Männer ist erschienen. Die Bärtigen lassen sich nieder und beginnen ein Palaver. Ich höre jeden Ton, verstehe aber kein Wort. Auf der anderen Platzseite schwebt ein Dutzend grauer und schwarzer Kopftücher heran: drei Frauen mit je zwei Kindern besetzten Buggys. Ihnen folgen weitere neun Mädchen und Jungen.

Die Frauen lassen sich dort nieder, wo gerade noch ein paar Jungen Fußball gespielt haben. Die Kinder weichen aus und stecken mit ihren Kleiderbündeln die Tore neu ab.

Zwei arabische Männer sind aufgestanden und holen die Liege, die die russische Oma gerade geräumt hat. Wo vorhin noch die deutschen Jugendlichen diskutierten, liegen jetzt zwei junge Afrikaner und tippen in ihre Smartphones. In fünf Minuten wird die Sonne hinter den Gründerzeithäusern verschwunden sein. Zeit, zu gehen.