© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/19 / 18. Oktober 2019

Nur ein Protektorat
Mehr als Nato-Statuten: Peter Orzechowski über Sonderrechte der USA in Deutschland und seine Zweifel an der Souveränität der Bundesrepublik
Lothar Karschny

Akzeptiert es endlich, Deutschland ist unser Protektorat!“ Mit diesem provokanten Satz beginnt Peter Orzechowskis Buch „Besatzungszone. Wie und warum die USA noch immer Deutschland kontrollieren“. Die Aussage soll der amtierende US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, laut einer Meldung vom 20. März 2019 getätigt haben. Die Meldung erschien absolut glaubwürdig, aber sie war nur ein Scherz. Sie stammte von den Berliner Spaßjournalisten der „fake news agency“, die wohl einer gefühlten Wahrheit zur Wortmeldung verhelfen wollten. 

Denn Grenell war mit seinen dreisten Äußerungen schon so oft unangenehm aufgefallen, daß FDP-Vize Wolfgang Kubicki die Ausweisung des US-Botschafters forderte und Altkanzler Gerhard Schröder sich entrüstete, Grenell benehme sich „wie ein Besatzungsoffizier in einem besetzten Land“.

Wie das Verhalten des Botschafters so stellt auch der Titel „Besatzungszone“ eine Provokation dar, und er provoziert die Frage, ob der Bundesrepublik Deutschland nicht wesentliche Attribute eines souveränen Staates fehlen. Peter Orzechowski durchforstet die Bestände deutscher Staatlichkeit und kommt dabei zu dem Schluß, daß Deutschland nicht nur militärisch besetzt ist, sondern auch in Politik, Medien und Wirtschaft durch die unsichtbare Hand des großen Bruders geleitet wird.

Auf die Frage, welche Ziele die USA in Deutschland verfolgen, bleibt er die Antwort nicht schuldig: die Kontrolle Deutschlands ist wesentlich für die Weltmachtrolle der USA. Der Macht- und Sicherheitsgewinn der USA wird erkauft durch einen Verlust an Freiheit, Wohlstand und Sicherheit auf deutscher Seite, die USA sind – auf eine kurze Formel gebracht: eine Weltmacht auf Deutschlands Kosten. Eine Konsequenz der Niederlage, die den Deutschen kaum noch bewußt sei.

Eine siebzigjährige Gewöhnung hat viele Besonderheiten der deutschen Lage in Vergessenheit geraten lassen. So etwa jenes „versteinerte Besatzungsrecht“, das es den USA erlaubt, Truppen in beliebiger Stärke in Deutschland zu stationieren und die Deutschen dafür zahlen zu lassen. Etwa 40.000 Soldaten (und 30.000 Zivilisten!) stellen das nach Afghanistan zweitgrößte Expeditionsheer im Ausland dar, das jederzeit auf 200.000 erhöht werden könnte, ohne Berlin zu fragen oder die Uno-Feindstaatenklauseln zu bemühen. Auf über 700 deutschen Liegenschaften gilt amerikanisches Recht. 

Nicht nur Soldaten haben freie Bahn, auch ein Heer von CIA- und NSA-Leuten darf die Stasi-Tradition fortsetzen und alle politischen Umtriebe bis hin zur Kanzlerin ausspionieren. Ja, es darf sogar „operativ mitgestalten“, Straffreiheit ist durch geheime Abkommen garantiert. In der NSU-Affäre blieb die US-Beteiligung ungeklärt, selbst für Ex-Minister Andreas von Bülow ist nicht klar, inwieweit die CIA in der rechtsextremen Szene aktiv ist. 

Ganz nebenbei wird eifrig Industriespionage betrieben, die jährlichen Verluste werden auf 50 Milliarden Euro geschätzt. Die Krone der informationellen Selbstentblößung ist die Zuarbeit von BND und Verfassungsschutz, deren größtes Geheimnis wohl ist, wem sie eigentlich dienen. In bezug auf den Geheimschutz ist Deutschland ein „offener Staat“, ein Kaiser ohne Kleider, wie im Märchen von einem willfährigen Hofstaat für seine Transparenz überschwenglich gelobt.

Während die Bundesregierung die US-Truppenpräsenz für ausdrücklich erwünscht erklärt, ist bei den US-Atomwaffen das Gegenteil der Fall. In einer Resolution vom März 2010 hat der Bundestag mit breiter Mehrheit den Abzug aller US-Atomwaffen von deutschem Boden gefordert. Die USA haben darauf einfach nicht reagiert und dem Verbündeten seine Ohnmacht demonstriert. 

Nicht nur die Atomwaffen, auch die zahlreichen US-Hauptquartiere und Militärbasen, von denen aus die USA weltweit agieren, machen das deutsche Territorium zur bevorzugten Zielscheibe jedes Gegners. Angesichts der offensiven US-Politik wächst die Kriegsgefahr in Europa, ein Teil der US-Elite hält gar einen Atomkrieg für gewinnbar. Deutschland rückt damit erneut in den Mittelpunkt einer Bedrohung, der es 1989 entronnen zu sein schien. Statt der Militärarsenale in den USA werden wieder die Vorposten in Deutschland zur Zielscheibe. Eine Risikoverschiebung in globalem Maßstab.

Prinzipiell gilt: Die Stationierung von Soldaten und Spionen unterwirft ein Land zwar der faktischen Oberhoheit der Besatzungsmacht, aber das sagt wenig über den Charakter der Besetzung aus. Sie kann harmlos sein wie in einem Protektorat, sogar der Friedenssicherung dienen, sie kann aber auch dauerhafte Ausbeutung, erzwungenen Niedergang oder Selbstabschaffung bedeuten. 

Wie sehr US-amerikanische Interessen außerhalb der militärischen Sphäre in Deutschland eingreifen, macht Orzechowski an zahlreichen Beispielen aus Wirtschaftsleben und Medien deutlich.Auch hier ist die US-Dominanz erdrückend. 80 Prozent der deutschen Großunternehmen sind in ausländischem Besitz, meist haben US-Konzerne das Sagen. Gleichzeitig werden Volkswagen, Bayer & Co. durch US-Sanktionen und Milliardenstrafen unter Feuer genommen. Kernindustrien werden zum Ausverkauf gezwungen, die Demontage schreitet voran.

Die Verzahnung von Wirtschaft, Medien und Politik wird nach Orzechowski durch mehr als 60 US-gesteuerte Denkfabriken gesichert, die in Deutschland aktiv sind. Sie spinnen ein feines Netz von Beziehungen innerhalb der Eliten und etablieren ein undurchdringliches Geflecht im Überbau von Staat und Gesellschaft. Besonders das Medienpersonal sei im amerikanischen Sinne selektiert und sozialisiert und verbreite eine öffentliche Meinung, die Wahrnehmung und Widerspruch behindere. Die politische Klasse ist durch ihre „connections“ westgebunden und das Filtersystem von Parteien und Medien sichert den Verrat der Eliten gegen das Volk ab. Das zeige sich besonders in einer Migrationspolitik, die eine weitere Gefahrenverschiebung vornehme, indem es den Nahostkonflikt in das Herz Europas verpflanzt. Cui bono? Für Deutschland eröffnen sich im Extremfall verheerende Alternativen: multikultureller Bürgerkrieg oder Bombodrom eines großen Krieges. 

Das Buch präsentiert damit eine äußerst düstere Perspektive. Der Autor zeichnet ein sehr negatives Bild der USA. Ihre Vorherrschaft wird zunehmend in Frage gestellt. Ihr Griff wird fester, ihr Status als Weltmacht ist bedroht. Für Deutschland ist die Bedrohung jedoch ungleich größer, hier geht es um die Existenz. So jedenfalls die Diagnose von Peter Orzechowski. Wenn sie tatsächlich zuträfe, wäre „Besatzungszone“ ein viel zu harmloser Begriff. 

Peter Orzechowski: Besatzungszone. Wie und warum die USA noch immer Deutschland kontrollieren. Kopp  Verlag, Rottenburg 2019, gebunden, 240 Seiten, 19,99 Euro