© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/19 / 18. Oktober 2019

Wenn die Scharia das Sagen hat
Form der Knechtschaft: Necla Kelek erkennt in der Rolle der Frau und den familiären Strukturen den entscheidenden Hebel einer Islamisierung
Leila Mirzo

Die unheilige Familie. Wie die islamische Tradition Frauen und Kinder entrechtet“, so der Titel des jüngsten Werkes der türkischstämmigen Soziologin und Frauenrechtlerin Necla Kelek. Die 1957 in Istanbul geborene Publizistin sticht nach „Die fremde Braut“ oder „Chaos der Kulturen“ mit ihrem aktuellen Buch wieder tief ins Mark der deutschen Integrationsdebatte. 

Anhand zahlreicher Beispiele zeichnet sie unbestechlich die Realität vieler Frauen und Kinder innerhalb der streng patriarchalen islamischen Familienstrukturen. Mitten in Deutschland und vor unseren Augen leben Frauen und Kinder unter einer religiös legitimierten Bevormundung. Eine dominant-islamische Werteorientierung zwingt sie in eine defensive Haltung, in der sie kaum selbstbestimmt leben können.

Besonders aussagekräftig sind die Passagen, in denen sich Kelek den Analysen des Soziologen Max Weber widmet. Der deutsche Nationalökonom prägte maßgeblich die Herrschafts- und Religionssoziologie und befaßte sich in seiner Forschung ausgiebig mit dem Islam und seinem Stifter. So kam Weber bereits damals zu dem Schluß, daß Mohammed seine Glaubensgemeinschaft „nach militärischen Notwendigkeiten“ organisierte. Dabei waren „Reichtum, Macht und Ehre die altislamischen Verheißungen für das Diesseits“ und „individuelle Heilssuche und Mystik“ dem alten Islam fremd. Nach und nach erfolgte laut Webers Einschätzung eine „Hinwendung von einer Erlösungsreligion zu einer ständisch orientierten Kriegerreligion“. 

Da die Geschichte des Islam mit Stammeskriegen und Raubzügen einherging, in denen die unterlegenen Männer getötet und Frauen und Kinder als Kriegsbeute einbehalten oder auf dem Sklavenmarkt verkauft wurden, hat das Verständnis von der Frau als „Beute“ in vielen Familien bis heute überlebt. In dieser Skizzierung blickt Necla Kelek auch in die vorislamische Zeit, welche Muslime allgemein als „Dschahiliya“, als Zeit der „Unwissenheit“, bezeichnen, und offenbart ein fast schon modernes Frauenbild der heidnischen Frauen. Die Frauen der arabischen Stämme in der vorislamischen Zeit waren weitgehend unabhängig und besaßen sogar sexuelle Freiheit. „Ihre Keuschheit hatte keine gesellschaftliche Funktion“, schreibt die Soziologin; für ihren Schutz und den Unterhalt sorgte der Stamm. Erst mit dem Islam wurde die Frau „zum Besitz des Mannes“. Kelek bezeichnet den Islam als „Katastrophe“ für die damaligen Frauen, das bis heute herrschende Geschlechterverständnis als „neue Form der Knechtschaft“. 

Necla Kelek stellt auch wieder die „K-Frage“ bezüglich des Kopftuches und seiner Bedeutung. Denn das Kopftuch „ist eben nicht wie die Kippa oder die Ordenstracht Ausdruck der Demut gegenüber einem Gott, sondern Ausdruck einer Schamkultur“, erklärt die Soziologin. Das Kopftuch sei vor allem bei Mädchen die „Reduzierung eines Kindes auf ein Sexualwesen“.

In ihrem Buch erzählt die engagierte Frauenrechtlerin zudem Lebensgeschichten syrischer Migrantenfamilien, die seit 2015 in Deutschland leben, und stellt in einem Interview mit SWR2 die These auf, daß in zwei Dritteln dieser Familien archaische Familienstrukturen herrschen, in denen sich Frauen und Kinder nicht frei entfalten können. In türkischstämmigen Familien, die teilweise seit 50 Jahren in Deutschland leben, hätten mindestens ein Drittel eine regressive Werteorientierung. 

Mit einem Appell an die Politik fordert Kelek die Stärkung von Frauen- und Kinderrechten und das sofortige Verbot von Imam-Ehen, die allzuoft Zwangsehen sind. Diese Themen sind freilich nicht neu, das Buch reiht sich in einer langen Karawane islamkritischer Bücher ein. Doch ist es, wie jedes aufklärerische Buch, das davor geschrieben wurde und danach noch geschrieben wird, wichtig und unverzichtbar. Denn jede Stimme, die sich gegen Unterdrückung und Unrecht im Islam erhebt, ist eine Stimme für die Freiheit. Necla Kelek erhebt ihre Stimme und zeigt Gesicht. 

In ihrem Buch und in ihrer Eigenschaft als Vorstandsmitglied der Menschenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ macht sie auch auf das Schicksal der Opfer der weiblichen Genitalverstümmelung aufmerksam. So sind laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2017 in Deutschland etwa 50.000 Frauen genitalverstümmelt. Bis zu 5.700 Mädchen sind akut von einer Beschneidung bedroht, und dies alles mitten unter uns.

Um die Situation der Frauen zu verbessern, fordert die Frauenrechtlerin konkrete Maßnahmen von der Politik. Imam-Ehen sollen für nichtig erklärt werden, wenn keine vorherige standesamtliche Registrierung vorliegt. Um die Rechte eingewanderter Frauen zu wahren, müßten diese ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhalten, welches nicht an das des Mannes gekoppelt ist. Denn nach derzeitiger gesetzlicher Regelung verliert die Frau ihren Aufenthaltstitel, wenn sie sich scheiden läßt. Diese Regelung sei laut Necla Kelek faktisch ein „Import des Scharia-Familienrechts“ nach Deutschland. 

Necla Kelek: Die unheilige Familie. Wie die islamische Tradition Frauen und Kinder entrechtet. Droemer Verlag, München 2019, gebunden, 336 Seiten, 19,99 Euro