© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/19 / 18. Oktober 2019

Freiräume erkennen und besetzen
Die Frankfurter Ethnologin Susanne Schröter analysiert die durchschaubaren Taktiken des politischen Islam, die Kontrolle über liberale Gesellschaften zu erlangen
Fabian Schmidt-Ahmad

Mit ihrem jüngsten Werk „Politischer Islam. Streßtest für Deutschland“ legt Susanne Schröter eine kenntnisreiche Studie über Einflüsse des radikalen Islam auf unsere Gesellschaft vor. Anders als viele andere trennt die Leiterin des „Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam“ dabei nicht streng zwischen der mohammedanischen Religion einerseits und einem „Islamismus“ andererseits, die scheinbar isoliert voneinander existieren, sondern betrachtet letzteren als politische Ausformung von etwas, das sich auch auf innerweltliche Fragen beschränken kann. 

Diesen politischen Islam sieht Schröter vor allem in Krisenzeiten der islamischen Geschichte aufkommen, beginnend mit der Vernichtung des glanzvollen Abbasidenreiches im Mongolensturm. Diese Krisen werden hier stets von politisch-religiösen Strömungen als Folge einer Abkehr vom ursprünglich reinen, vollkommenen Glauben der islamischen Frühzeit gedeutet. Der Aufstieg der Wahhabiten, Moslembrüder, Salafisten bis hin zur AKP als Reaktion auf soziale Verwerfungen werden in der Einleitung knapp umrissen. Die Initialzündung kam dabei von der Iranischen Revolution 1979, die auch unter Sunniten Strahlkraft besitzt.

Ausführlicher in ihrer Bedeutung für Deutschland werden diese Strömungen dann in einzelnen Abschnitten näher betrachtet, wobei das Einwirken des Wahhabismus mit seinen gewaltigen Finanzströmen etwas zu kurz kommt. Allerdings veranschaulicht Schröter, ausgewiesene Expertin für den Islam in Südostasien, gelungen die Funktionsweisen, wie Saudi-Arabien die indonesische Gesellschaft mit ihrem ursprünglich liberalen Islamverständnis destruiert, während umgekehrt einheimische Politiker den radikalen Islam zur Mobilisierung von Wählerpotential entdecken. Analogien zur deutschen Gesellschaft sind offenkundig.

Überhaupt beschreibt Schröter immer wieder die gleichen, schlichten Methoden, mit denen der politische Islam seine Macht weltweit auszudehnen sucht. Zunächst als Minderheit werden ständig Sonderrechte eingefordert, die angeblich essentiell für die Religionsausübung seien. Mit wachsender Stärke werden dann die eigenen Sozialvorstellungen in der Öffentlichkeit ausgelebt, politische Parteien gegründet, die die Agenda des politischen Islams propagieren, flankiert von wachsender Gewalt gegen diejenigen, die sich dieser raumgreifenden Sozialordnung widersetzen.

Eine liberale Gesellschaft, die es gewohnt ist, Freiräume zu geben, öffnet sich dadurch einer Ideologie, die diese Freiräume besetzt. „Das islamische Recht reduziert sich nicht auf den öffentlichen Raum oder den Bereich der Kriminaldelikte, wie sie uns bekannt sind, sondern unterwirft das Individuum auch in seiner Privatsphäre der islamistischen Doktrin.“ Augenfällig wird dies in der Kontrolle der Sexualität. „Im Zentrum des politischen Islam steht unangefochten die islamistische Genderordnung, deren augenfälligste Merkmale eine umfängliche Geschlechtertrennung, ein extremer Patriarchalismus (…) und die Fetischisierung der Bedeckung des weiblichen Körpers und Kopfes sind.“ 

Allerdings, bei aller inhaltlichen Nähe dieser radikalen Strömungen, sieht Schröter ein situationsgebundenes Taktieren, das je nach Lage zu unterschiedlichen Kompromissen führt. „Die Vereinheitlichung aller Muslime unter einem Führer ist gegenwärtig mehr als unwahrscheinlich. Islamisten sehen sich daher zu einem gewissen Pragmatismus genötigt.“ Selbst die Moslembruderschaft als eine der bestorganisierten Bewegungen des politischen Islam verfolge hier eine uneinheitliche Linie, die von Land zu Land unterschiedlich ausfallen könne.

Das letzte Instrument im Werkzeugkasten des politischen Islam, die Gewalt gegen jeden, der sich dieser Ordnung widersetzt, wird in den letzten Abschnitten des Buches beleuchtet. Hier betrachtet Schröter unter anderem den Verdrängungsprozeß an unseren Schulen, wenn deutsche Kinder zur unterdrückten Minderheit werden. Denn Gewalt, so wird durch die Lektüre deutlich, ist wesentlicher Bestandteil des Islam. „Floskelhafte Bekundungen, Terror und andere Formen der Gewalt hätten nichts mit dem Islam zu tun, müssen zurückgewiesen werden“, fordert die Professorin der Goethe-Universität.

Statt dem Ausland die Indoktrination hier lebender und aufwachsender Muslime zu überlassen, sei hier politisches Eingreifen nötig. „Islampolitik ist ein Teil der Integrationspolitik und muß offen diskutiert werden“, heißt es bei Schröter. „Eine freie Gesellschaft lebt von einer freien Debatte, gerade dann, wenn es um eine totalitäre Bewegung geht, die im Namen von Religionsfreiheit und Toleranz an den Fundamenten unserer Gesellschaft sägt.“

Susanne Schröter: Politischer Islam. Streßtest für Deutschland. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2019, gebunden, 382 Seiten, 25 Euro