© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/19 / 25. Oktober 2019

Vom Arbeitgeber verhöhnt
Uni Hamburg: Bernd Lucke wird in seiner Antrittsvorlesung niedergeschrien /Geschehnisse sorgen für öffentliche Debatte über Meinungsfreiheit
Karsten Mark

Politisch ist es zuletzt ruhig geworden um Bernd Lucke. Mit seiner Abwahl als AfD-Bundessprecher im Juli 2015 und seinem Parteiaustritt war er schnell aus dem Rampenlicht verschwunden. Seine Parteineugründung „Allianz für Fortschritt und Aufbruch (ALFA)“ konnte der AfD nicht, wie von ihm erhofft, nennenswert Wähler abspenstig machen. 

Und seitdem diese auch noch nach einem verlorenen Rechtsstreit in „Liberal-Konservative Reformer (LKR)“ umbenannt werden mußte, ist sie fast vollständig aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Mit Ablauf seines Mandats im Europäischen Parlament, das er 2014 für die AfD errungen hatte, ist Luckes Lebensabschnitt als Berufspolitiker erst einmal zu Ende, und er ist an seine vormalige Wirkungsstätte als Professor für Makroökonomie an die Universität Hamburg zurückgekehrt.

AStA sieht die Schuld bei Bernd Lucke

Daß dies nicht reibungslos passieren würde, dürfte ihm – angesichts der starken linken und linksextremistischen Szene an seiner Hochschule – genauso klar gewesen sein wie allen anderen Beteiligten. So kam es, wie es kommen mußte: Der Allgemeine Studierendenausschuß (AStA) der Universität Hamburg rief unter dem Motto „Lucke lahm legen“ zu seiner Wiederanstrittsvorlesung am vergangenen Mittwoch zu Protesten auf. Und die führten dann letztlich auch dazu, daß Lucke seine Vorlesung nicht halten konnte, dafür aber anderthalb Stunden lang als „Nazi-Schwein“ beschimpft und mit Gegenständen beworfen, von schwarz gekleideten Antifa-Aktivisten, die ihre Fahnen und Banner im Hörsaal entrollt hatten, sogar direkt körperlich angegangen wurde. Doch Lucke blieb stur und sagte: „Ich weiche nicht zurück.“ Schließlich verließ er den Hörsaal durch einen Seiteneingang unter Polizeibegleitung. 

Vor diesem Hintergrund muß auf ihn die offizielle Vorab-Mitteilung seiner Hochschule: „Für den ordnungsgemäßen Ablauf jeder Lehrveranstaltung ist der jeweilige Lehrende verantwortlich“, wohl bereits reichlich höhnisch gewirkt haben. In der Reaktion auf die entgleiste Protestaktion aber setzten der Hochschul-Präsident Dieter Lenzen sowie die Wissenschaftssenatorin und Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) noch eine weitere Spitze gegen Lucke: 

„Der Staat ist verpflichtet, die Durchsetzung freier wissenschaftlicher Lehre grundsätzlich zu gewährleisten. Unabhängig davon ist festzustellen, daß Universitäten als Orte der Wissenschaft die diskursive Auseinandersetzung auch über kontroverse gesellschaftliche Sachverhalte und Positionen führen und aushalten müssen – insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte.“ „Was die Universität da mitgeteilt hat“, sagte Lucke später in einem Interview, „ist an Absurdität nicht zu überbieten“. 

Absurd mutete auch ein Statement des AStA an, das zwei Tage nach der Vorlesung erschien: „Die sowieso schon angespannte Situation wurde insbesondere noch einmal angeheizt, als Bernd Lucke das Podium verließ und zwischen Studierenden im Auditorium Platz nahm“, teilte das Gremium mit. „Dieses Verhalten hat nicht zu einer Deeskalation geführt, sondern vielmehr als Provokation auf die Protestierenden gewirkt.“ Schuld an der Eskalation sei also Lucke gewesen. Doch so demonstrativ ihm selbst sein Arbeitgeber in den Rücken fiel, gelang es Lucke doch immerhin, eine breite öffentliche Debatte über die Meinungsfreiheit und die Zustände an deutschen Hochschulen zu entfachen: Springers Bild-Zeitung titelte etwa in einem außergewöhnlich scharfen Kommentar „Die Antifa gefährdet unsere Freiheit“ – und thematisierte „einen linksextremen Angriff auf die Meinungsfreiheit, der nicht auf den Widerstand stößt, den er in einer demokratischen Gesellschaft entfachen sollte.“

Ähnlich äußerte sich auch Lucke in einem Gastbeitrag für die Welt am Sonntag: „Dies wäre eine Posse, wenn es nur um die politischen Gehversuche einiger junger Leute ginge. Bedeutend aber ist, daß am Mittwoch der Mechanismus, mit dem auch andernorts in unserer Gesellschaft politische Herrschaftsansprüche durchgesetzt werden, so stark überdehnt wurde, daß dies endlich einmal allgemeine Empörung hervorrief.“

Dieser Mechanismus bestehe darin, „daß man die Positionen von politisch Andersdenkenden vergröbert und verzerrt wiedergibt, um sie möglichst nachhaltig zu diskreditieren. Wer den Euro kritisiert, ist ein Antieuropäer, wer das Kopftuch verbieten will, ist ein Islamfeind, wer Greta kritisiert, ein Klimaleugner“. Die grüne Wissenschaftssenatorin reagierte indes erst, nachdem AfD und FDP in der Hamburgischen Bürgerschaft eine klare Stellungnahme eingefordert hatten. „Wie im Hörsaal mit Herrn Lucke umgegangen wurde, widerspricht den Regeln fairer politischer und demokratischer Auseinandersetzung“, räumte auch sie schließlich ein. „Es geht nicht, daß die Lehrveranstaltungen von Herrn Lucke niedergebrüllt werden.“

CDU zieht Vergleich zur Situation in 1930er Jahren

Die Oppositionsparteien fanden dazu schärfere Worte: „Anfang der 30er Jahre haben die Nazis jüdische Professoren aus den Vorlesungssälen gegrölt“, sagte CDU-Spitzenkandidat Marcus Weinberg. „Solange sich jemand auf dem Boden unserer Verfassung bewegt, müssen wir seine Meinung aushalten.“ Die AfD sprach von „Gesinnungsterror linker Gruppierungen“. Die FDP nannte die Antifa-Aktion einen „nicht zu tolerierenden Angriff auf unsere Meinungsfreiheit“. Die Demonstranten selbst wendeten jene Mittel an, gegen die sie zu protestieren vorgäben.