© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/19 / 25. Oktober 2019

Wahlkampf im Zeichen des Protests
Spanien: Zum vierten Mal innerhalb von vier Jahren dürfen die Iberer ein neues Parlament wählen
Laurentino Da Silva

Am 10. November ist es wieder soweit. Zum vierten Mal in vier Jahren sind die Spanier aufgerufen, ein neues Parlament, die Cortes zu wählen. Das Umfeld ist unruhig: Tagelange heftige Ausschreitungen beherrschten zuletzt die Lage in Kataloniens Hauptstadt Barcelona, als militante Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung auf die Straße gingen, um gegen die langjährigen Haftstrafen für neun Führer der Unabhängigkeitsbewegung zu protestieren.

Die Region ist in dieser Frage tief gespalten. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung lehnt die Unabhängigkeit ab. Es handelt sich dabei zunächst um die spanischsprachige Minderheit, die seit alters her in Teilen des heutigen Katalonien beheimatet ist. 

Sozialist Pedro Sánchez gelobt Besserung

Hinzu kommen viele, die in den vergangenen Jahrzehnten aus den anderen Gebieten Spaniens zuwanderten und für die Katalanisch eine Fremdsprache ist und bleibt, sowie  nicht zuletzt die Ein- bzw. Rückwanderer aus Spanisch-Amerika. Wie alle Umfragen und Wahlen der vergangenen Jahre zeigen, entspricht die Zahl der Gegner einer Unabhängigkeit Kataloniens in etwa der Befürworter.

Während also in Katalonien die Straßenbarrikaden brennen, konnten sich die Parteien in Madrid erneut nicht auf eine Regierung verständigen. Der amtierende Ministerpräsident Pedro Sánchez von den Sozialisten sah sich gezwungen, erneut Neuwahlen auszurufen, in der vagen Hoffnung, auf diese Weise regierungsfähige Mehrheiten zu erzielen. 

Das Problem ist dabei struktureller Natur. Neben den großen Blöcken der Linken und Rechten existieren zahlreiche autonomistische und separatistische Parteien, die eine Mehrheitsbildung in hohem Maße erschweren. Vor allem die separatistischen Parteien Kataloniens stellen als Bedingung für den Eintritt in eine linke Koalitionsregierung Forderungen auf, die gerade für Teile der gesamtspanisch ausgerichteten Sozialisten unerfüllbar sind. 

Die einzig realistische Option für einen Ausweg aus der Dauerkrise wäre eine große Koalition zwischen Sozialisten und der konservativen Volkspartei von Pablo Casado. Ob man sich darauf verständigen kann und wird, steht in den Sternen. Ministerpräsident Sánchez versprach jedenfalls, daß eine Regierungsbildung nach den Wahlen „eine Frage von Tagen“ sein werde, spätestens aber im Dezember erfolgen werde. 

Laut Umfragen finden die Verschiebungen der Wähleranteile innerhalb der politischen Blöcke und nicht zwischen diesen statt. Auf der linken Seite verlieren sowohl Sozialisten als auch die extrem linke Partei Unidas Podemos (UP, Vereint können wir) an die neugegründete Partei Más País (Mehr Land) um deren Vorsitzenden Íñigo Errejón. Dieser war lange Zeit führendes Mitglied von UP, unter anderem als Wahlkampfmanager. 

Rechte Vox-Partei liegt in Umfagen an dritter Stelle

Die Begründung, warum die neue Formation ins Rennen zieht, klingt einfach. Ihre Kandidatur werde Linkswähler daran hindern, der Abstimmung aus Verärgerung darüber fernzubleiben, daß die politische Linke keine Regierungsbildung zustande brachte. Kritiker sehen hingegen in der Kandidatur der neuen Formation die Gefahr einer weiteren Zersplitterung des linken Lagers. 

Im bürgerlichen Parteienspektrum verlieren die liberalen Ciudadanos (Bürger) deutlich und zwar sowohl in Richtung Volkspartei als auch in Richtung Vox. Die rechte Partei Vox, die erst seit den Wahlen im April in den Cortes vertreten ist, liegt in den Umfragen, was die zu erwartenden Sitze betrifft, bereits an dritter Stelle. 

Die Unruhen in Katalonien dürften ihr zusammen mit dem Schwächeanfall der Ciudadanos dabei in die Hände spielen. Der andere Profiteur des Rückgangs der Liberalen, Pablo Casado von der Volkspartei äußerte mit Blick auf die Unruheregion: es könne keinen Dialog mit denen geben, „die Katalonien zum Brennen bringen.“

Im Rahmen der Wahlkampagne konnte der Vox-Vorsitzende Santiago Abascal über Antena 3, einem der großen Fernsehsender, erstmals ausführlich seine Standpunkte einem größeren Publikum darlegen. Angesprochen auf die Proteste von „Progressisten“ anläßlich seines Fernsehauftritts, meinte er: „Für mich ist ein Progressist ein Mensch mit linken Positionen, der versucht zu diktieren, was positiv ist und was nicht.“  Und im Zusammenhang mit der Entfernung der sterblichen Überreste Francos aus dem „Tal der Gefallenen“ kritisierte er, daß die sozialistische Regierung nicht nur Franco exhumieren, sondern auch „das größte Kreuz der Welt zerstören will“.