© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/19 / 25. Oktober 2019

Verloren und doch gewonnen
Parlamentswahlen in Kanada: Justin Trudeaus Liberale kommen mit einem blauen Auge davon / Konservative scheitern an Mehrheitswahlrecht
Friedrich-Thorsten Müller

Trotz starker Verluste, und vor allem dank des Mehrheitswahlrechts, hat der liberale Premierminister Justin Trudeau am Montag die kanadischen Parlamentswahlen gewonnen. Nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen kam er auf 157 von 338 Sitzen (2015: 177). Sein konservativer Gegenkandidat Andrew Scheer erreichte dagegen nur 121 Sitze (2015: 95), obwohl er in absoluten Stimmen mit 6,1 gegenüber 5,9 Millonen für Trudeau (34,4 zu 33 Prozent), vorne lag. 

Mit wahlentscheidend war, daß die Konservativen in der bevölkerungsreichen französischsprachigen Provinz Québec lediglich zehn von 78 Sitzen erringen konnten.

Es war ein sichtlich erleichterter Justin Trudeau, der Montag nacht in Montreal vor seine Anhänger trat und verkündete: „Ihr habt es geschafft, meine Freunde, Gratulation! (…) Die Kanadier haben der Polarisierung und der Austerität eine Absage erteilt!“ Selbstverständlich werde er eine Politik „auch für die machen, die mich nicht gewählt haben“, ergänzte er staatsmännisch. 

Die Wahl war auch als Referendum über Trudeaus Skandale gesehen worden, der zuletzt in der Affäre um den Baukonzern SNC-Lavalin unzulässigen Einfluß auf die Ermittlungen genommen hatte. Außerdem mußte er vor der Wahl entschuldigend einräumen, vor 18 Jahren beim orientalischen Kostümabend einer Privatschule mit braun geschminkter Haut aufgetreten zu sein. Eine solche Verkleidung gilt in Kanada heute als rassistisch.

Zerknirscht dagegen sein konservativer Herausforderer Scheer: „Wir sind der eigentliche Wahlgewinner. Mehr Kanadier wollten, daß wir gewinnen, als jede andere Partei. (…) Wir sind die Regierung in Wartestellung.“ Das Ergebnis ist deshalb pikant, weil Trudeau bereits vor seiner Wahl vor vier Jahren eine Änderung des Wahlrechts in Richtung Verhältniswahl versprochen hatte.

Den dritte Platz belegen die Sozialdemokraten der New Democratic Party unter Führung von Jagmeet Singh mit noch 15,9 Prozent der Stimmen und 24 (2015: 39) Sitzen. Singh dürfte damit für Trudeau zum „Königsmacher“ werden, auch wenn eine Koalitionsregierung unwahrscheinlich scheint. Kanada wurde in den vergangenen 15 Jahren dreimal von Minderheitsregierungen geführt.

Eine überraschend starke Wiederauferstehung konnten dagegen die Separatisten des „Bloc Québécois“ erzielen. Sie verdreifachten mit einem Ergebnis von landesweit 7,8 Prozent die Zahl ihrer Sitze von 10 auf 32. Unter „Wir wollen ein eigenes Land“-Rufen verkündete dessen Vorsitzender Yves-François Blanchet, daß dieses Wahlergebnis „nur der Anfang“ sei. 

Allerdings signalisierte er in Richtung Trudeau, alles zu unterstützen, was „gut für Québec“ sei. Bereits vor der Wahl hatte umgekehrt Trudeau der Provinz Entgegenkommen in Einwanderungsfragen signalisiert.

Ebenfalls verdreifachen konnten die Grünen ihr Ergebnis, die in Zukunft mit drei statt einem Abgeordneten im Parlament vertreten sein werden. Sie kamen auf immerhin 1,1 Millionen Wählerstimmen, was 6,4 Prozent der Stimmen entspricht. 

Eine klare Niederlage mußte dagegen Maxime Berniers erst vor einem Jahr von den Konservativen abgespaltene „Peoples Party“ verbuchen. Der frühere Minister konnte – trotz des betonten Multikulturalismus Trudeaus – auch mit moderat rechtspopulistischen Positionen nur 1,6 Prozent der Stimmen erreichen und zog nicht ins Parlament ein.