© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/19 / 25. Oktober 2019

Kunst und Politik verwoben
Kino: Der Film „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ von Céline Sciamma ästhetisiert die gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Frauen
Dietmar Mehrens

Gesten, Blicke, das Unausgesprochene, Unsagbare. Und als Kontrast dazu die Weite des Landes, die Freiheit suggerierende Naturkulisse, vor der sich dieses menschliche Drama abspielt: das waren die wesentlichen Zutaten von „Brokeback Mountain“ (2005), dem Oscar-prämierten Melodram von Ang Lee, das die unmögliche Liebe zweier Cowboys zum Thema machte. „Porträt einer jungen Frau in  Flammen“ ist sozusagen das weibliche Pendant dazu.

Nicht zwei Kuhhirten aus Montana sind es diesmal, die von unüberwindlichem Zueinanderhingezogensein ergriffen werden, sondern zwei kunstsinnige junge Damen im Jahre 1770: die Malerin Marianne (Noémie Merlant) und die junge Adlige Héloïse (Adèle Haenel), die Marianne im Auftrag ihrer Mutter, einer Herzogin, porträtieren soll. Die Auftragsarbeit ist als Hochzeitsgeschenk für Héloïses Bräutigam gedacht, einen italienischen Edelmann, den Héloïse noch nie gesehen hat.

Daß die Herzogin und ihre Tochter zurückgezogen auf einer Insel vor der Bretagne leben, wirkt sich ausgesprochen günstig auf die Bildgestaltung aus. Was für „Brokeback Mountain“ die Berge von Montana waren, ist hier die karge Küstenlandschaft. Immer wieder wird die Weite des Atlantischen Meeres als Kontrast zu den Zwängen der gesellschaftlichen Konventionen ins Bild gesetzt.

Autorin und Regisseurin Céline Sciamma hat ein ruhiges Erzähltempo gewählt, um die Wirkkraft ihrer Bilder, die oft selbst stimmungsvollen Porträts gleichen, zu erhöhen. Raffiniert und wohl dosiert setzt sie in Schlüsselszenen Musik zur Emotionalisierung des Seherlebnisses ein. Das Ergebnis ist ein Kunstwerk von beeindruckender Intensität, das visuelle und thematische Einflüsse von Jane Campions „Das Piano“ (1993) und „Portrait of a Lady“ (1996) erkennen läßt.

Eingewoben in den hauchzarten Liebesreigen der beiden jungen Frauen ist die Geschichte der „ungewollt“ schwangeren Zofe Sophie. Marianne und Héloïse verhelfen ihr zu einer Abtreibung. Während diese durchgeführt wird, spielt ein Kleinkind, das offenbar zur Familie der „Engelmacherin“ gehört, mit der Frau, die die Abtreibung vornehmen läßt, und fährt ihr mit der Hand durchs Gesicht. Die Botschaft: Dieses „gewollte“ Kleinkind ist glücklich. Es bildet mithin einen ästhetischen Kontrast zu dem ungewollten Ungeborenen, das im selben Moment getötet wird. Das lebende Kind ist ein Trostfaktor: „Später“, sagt diese Darstellung aus, „kannst du auch mal ein glückliches Kind haben“.

Die Symbolik fällt oft eine Spur zu aufdringlich aus

Die Szene enthüllt in zweifacher Hinsicht die Schwächen des Films: Er hat einen Hang zum Ästhetizismus, der die dargestellten Dekadenzsymptome überhöht. Und die Symbolik – weitere Beispiele: Héloïses Feuer fangendes Kleid als Sinnbild erwachender Leidenschaft, ein Spiegelbild von Marianne, das Héloïses Scham bedeckt, ein Korsett, in das Héloïse gezwängt wird, als die Liebschaft mit Marianne ihrem unwiderruflichen Ende entgegengeht – fällt oft eine Spur zu aufdringlich aus.

Viele Dialoge sind dick mit Doppeldeutigkeiten aufgeladen: „Es gibt Regeln, Konventionen“, sagt Marianne, als es über das erste Bildnis der Malerin Streit gibt, weil es Héloïse nicht authentisch genug ist. Sie empfindet es als leblos, lustlos und uninspiriert. Dabei geht es natürlich auch um die Regeln und Konventionen, die im 18. Jahrhundert einer gleichgeschlechtlichen Liebe im Weg stehen, dem „Leben“, wie Héloïse es formuliert. Dieses, deutet sie an, müsse vor Regeln rangieren. So aufdringlich wie in seiner Symbolik ist der Film auch in seiner politischen Aussage. 

Die Geschichte des Films ist fast so lang wie die seiner Instrumentalisierung für Propaganda. Der sozialistische Realismus und auch Leni Riefenstahls NS-Filme haben die Frage aufgeworfen: Darf Kunst sich auf subtile Weise einer bestimmten, vom Künstler als richtig erkannten politischen Ambition verschreiben? Und ist das dann noch Kunst?

Es gehört zur Wahrheit bei der Bewertung des Films von Céline Sciamma (nach „Der Honiggarten“ übrigens bereits das zweite Frauenliebe-Drama innerhalb weniger Wochen im deutschen Kino), daß er genau wie das erste, mißlungene Porträt, das Marianne von  Héloïse anfertigt, markante Züge einer Auftragsarbeit trägt. Hätte jemand, der dem grassierenden Geschlechtsrevisionismus unserer Epoche wohlwollend gegenübersteht, zu Sciamma gesagt: „Mach mal einen schönen Frauenfilm, etwas in der Art von ‘Brokeback Mountain’, nur mit Frauen. Und als frauenrechtsrelevantes Subthema baust du in der Mitte noch eine Abtreibung mit ein!“, wäre also ein so lautender Auftrag an die Regisseurin ergangen, das Ergebnis hätte nicht besser aussehen können als der Film, der nächste Woche in die Kinos kommt. Aber die androgyn wirkende Regisseurin, die schon mit „Tomboy“ (2011) ein geschlechtsrevisionistisches Werk vorlegte, war offensichtlich ihre eigene Auftraggeberin.

Unnötig zu erwähnen, daß die Verbindung von Feinsinnigkeit und Feminismus auch ein gutes Rezept ist, um bei einem der großen Filmfestivals prämiert zu werden, die ja bekanntlich kulturelle Kulminationszentren des Zeitgeistes sind. „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ ist beides: Kunst- und Propagandawerk. In Cannes gab es dafür den Preis für das beste Drehbuch und den eigens für Fälle wie diesen kreierten LGBT-Preis „Queer Palm“. Letzterer ist besonders verdient.

Der Film startet am 31. Oktober in den Kinos

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