© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/19 / 25. Oktober 2019

Die Wissenschaft vom Eigentum
Ethik: Peter J. Preusse fragt, inwieweit Kooperation das natürliche Gegeneinander ersetzen kann
Heino Bosselmann

Weil wir permanent Entscheidungen zu treffen haben, gehört die Frage nach dem Guten zum Grundbestand von Philosophie und Religion. Dennoch stehen wir stets aufs neue in der Dramatik des Konflikts zwischen Wollen und Sollen. Vor dem Hintergrund der reichen Ethikgeschichte mutet der Anspruch, in einem schmalen Bändchen bisher Unberücksichtigtes zum guten Handeln nachzutragen, interessant an.

Peter J. Preusse versteht sich als libertärer Geist. Den Ausgangspunkt seines ethischen Denkens bildet das Selbsteigentum – das Ziel, die „Privatrechtsgesellschaft“. Eines seiner Bücher trägt einen Titel, der sein Motto sein könnte: „Frei statt Staat“. Insofern denkt er die Ethik als „Wissenschaft vom Eigentum, die den Maßstab menschlicher Praxis bildet“. Darin liegt nach seiner Auffassung die aufklärende Botschaft; darin mag allerdings ebenso eine fragwürdige Verkürzung liegen, insofern eine vom Eigentum gedachte Ethik eben zuerst die Ethik des solventen Eigentümers ist.

Schopenhauer dient als Vorbild

Insbesondere mit den seit der Flüchtlingskrise von Staats wegen aufgestellten moralischen Postulaten sieht Peter J. Preusse die Gesellschaft nachvollziehbar von „hypermoralischen Exzessen“ bestimmt, die dringlich einer Revision bedürfen.

„Wird die moralische Qualität des Guten durch Massenhaftigkeit kompromittiert? Sind die Motive der Bahnhofsbesucher mit ihren betont individuellen, aber so auffallend gleichen ‘Refugees welcome’-Schildern mehr altruistisch-moralisch zu verstehen oder spielt doch die Bestärkung eines milieutypischen Gruppen-Ich eine untergründige Hauptrolle?“ Sogleich zieht der Autor eine provozierende Parallele: „War das ‘Seid bereit, immer bereit’ für den Sieg des Sozialismus und das ‘Flink wie Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl’-Ideal der Hitler-Jugend von irgendeinem moralischen Wert? Sicher bedeutet ein verantwortungsloses Mitschwimmen im Zeitstrom und schon gar eine befohlene Handlung gleichermaßen weniger individuelles Verdienst (…) als eine Tat aus dem Mut der eigenen Urteilskraft (…).“ – Bleibt also zu fragen, was nun das Gute eigentlich sei? „Gemeinnutz geht nicht erst seit Hitler vor Eigennutz“, schreibt Preusse pointiert, verwirft er doch alle sozialistische Vergesellschaftung von Moral.

Vielmehr setzt er auf Schopenhauers Anthropologie, also auf die Natürlichkeit des Egoismus einerseits und auf die Mitleidsethik andererseits, um beides gegen Kant in Stellung zu bringen. Nachgewiesen werden soll, daß die Reichweite des Moralischen zwischen Menschen zwar durchaus bestimmbar ist, in ihrer Geltung aber weder ins Totale ausgedehnt werden kann noch darf: „Moral leidet an der evidenten Unmöglichkeit, mit begrenzten mentalen und materiellen Ressourcen unbegrenztes Leid jedweder Kategorie zu lindern. Das moralisch gute Gewissen scheitert immer wieder an der begrenzten Reichweite der Mittel sowie an der Widersprüchlichkeit der potentiellen Zwecke, die zusammen die Subjektivität oder Nicht-Universalisierbarkeit jeder positiven Moral ausmachen.“

Direkte Nachbarschaftshilfe wird als gut gelten können, ja müssen. „Wenn aber die regierungsamtliche Entwicklungshilfe für Afrika, die heute euphemistisch wirtschaftliche Zusammenarbeit heißt, seit Jahrzehnten Unsummen ohne nachhaltige Perspektive verschleudert, (..), ist jedem klar, daß hier von einer  (…) moralisch guten, altruistischen Tat nicht mehr geredet werden kann.“

Die Suche nach Logik und Gesetz der Verantwortung

Wann aber dann? Die Antwort darauf, was im Rahmen unserer begrenzten Möglichkeiten kraft der Vernunft als gut gelten könne, erfolgt im wesentlichen in detaillierter Nachlese zu wirtschaftsliberalen Grundbeständen, orientiert an der Österreichischen Schule der Nationalökonomie (Menger, Mises, Hayek). Es geht dem Autor um den Nachweis, daß eine Ethik der Verantwortung so logisch eingängig wie rechtlich klar zu fassen ist. Dabei werden in der Absicht, Ethik apriorisch herzuleiten, insbesondere Wittgensteins Sprachphilosophie und der Erkenntnistheoretiker Peter Janich bemüht. Ethik soll doch „die Wissenschaft vom Eigentum“ sein und damit ein „Maßstab menschlicher Praxis“, an dem geprüft werde, inwieweit im Sinne des Guten das natürliche Gegeneinander durch Kooperation ersetzt werden kann.

Peter J. Preusse: Das sogenannte Gute. Zur Verwirrung um Ethik und Moral, Manuscriptum Verlagsbuchhandlung, Lüdinghausen und Berlin 2019, gebunden, 12,80 Euro