© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/19 / 25. Oktober 2019

Bedingungslose Wechselseitigkeit
Soziale Marktwirtschaft: Der Ökonom Dominik Enste analysiert die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens
Paul Leonhard

Als Student der Finanz- und Wirtschaftswissenschaften war Dominik Enste zunächst hellauf begeistert, als er von der Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) hörte. Viele Probleme des Sozialstaates schienen ihm damit gelöst zu sein. Und befürworteten dieses nicht sowohl Unternehmensvertreter wie Telekom-Chef Timotheus Höttges, Siemens-Chef Joe Kaeser, Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, Tesla-Chef Elon Musk als auch liberal-konservative, linke und grüne Politiker?

Zwanzig Jahre später zieht Enste, inzwischen Wirtschaftsethiker und Verhaltensökonom an der TH Köln und im Institut der deutschen Wirtschaft Köln, in seinem Essay „Geld für alle“ eine sowohl persönliche als auch wissenschaftliche Bilanz. Dafür betrachtet er die Pro- und Contra-Argumente aus interdisziplinärer Perspektive, wägt Hoffnungen und Ängste ab, bezieht klare Position zu Chancen und Risiken und analysiert die Experimente verschiedener Länder wie Finnland, Kanada, den Niederlanden oder im US-Bundesstaat Alaska mit einem BGE: „Meine Kernkritik zielt halt wirklich darauf, was das mit dem Menschen macht, wenn er eine Leistung bedingungslos zum einen gewährt bekommt oder aber auch einem anderen etwas geben muß, ohne eine Bedingung dafür erfüllt zu sehen.“

Ein Pyrrhussieg  gegen Sonderregelungen

Als Hauptproblem arbeitet Enste die geforderte Bedingungslosigkeit heraus. Diese würde das bereits bestehende Problem fehlender Arbeitsanreize im Sozialstaat weiter verschärfen, da die Annahme, daß der Mensch gern arbeite und gern gebe, von der verhaltensökonomischen Forschung eindeutig widerlegt sei. Dauerhaftes Geben ohne Gegenleistung sei mit dem Wesen des Menschen nicht vereinbar.

Auch käme die Einführung eines BGE einem Pyrrhussieg gleich, da die von durchsetzungsstarken Gruppen erzwungene Berücksichtigung von Einzelinteressen und die angestrebte Einzelfallgerechtigkeit zu Ausnahme­tatbeständen und Sonderregelungen führen würde, mit denen auch die Bürokratie wieder anstiege, was dann eine neue Umverteilungsdebatte zur Folge hätte.

Um Bürokratie und auch eine Stigmatisierung der Betroffenen abzubauen, schlägt Enste die Zusammenführung der zahlreichen unterschiedlichen Sozialtransfers in einem bedingten Grundeinkommen vor. Es könne auch sinnvoll sein, begrenzte direkte Zahlungen an Verlierer des Strukturwandels auszuzahlen, um den sozialen Frieden zu sichern, aber nur an bedürftige und nicht an alle. In Entwicklungsländern, in denen 90 Prozent der Menschen als weitreichend bedürftig gelten, könnten Entwicklungszusammenarbeitsgelder als Grundeinkommen via Smartphone ausgezahlt werden.

Mit Blick auf bereits erfolgte staatliche Eingriffe in Form von Höchst- oder Mindestpreisen beziehungsweise -löhnen, die zur Störung der Preisfunktionen und zur Verschwendung von Ressourcen führen, warnt Enste nachdrücklich davor, die Verbindung des „Prinzips der Freiheit auf dem Markt mit dem des sozialen Ausgleichs“ aufzugeben, die Deutschland so erfolgreich gemacht hat.

Das BGE sei unfair, unsinnig, bestenfalls unnötig, schlimmstenfalls gefährlich, unrealistisch und unmenschlich, weil es die evolutionär entwickelten Bedürfnisse des Menschen nach Reziprozität und Selbstverantwortung ignoriert. Letztlich singt Enste in seinem Essay ein Loblied auf die Soziale Marktwirtschaft als die bessere Alternative. Diese habe sich in den letzten 70 Jahren auch im Vergleich mit anderen Ordnungen bewährt, auch weil sie von einem integrativen, realistischen Menschenbild ausgeht. Dieses Modell evolutionär weiterzuentwickeln sei zwar mühsamer, umständlicher und weniger visionär, aber auch ungefährlicher, sinnvoller und gerechter. Wer immer noch von einem Bedingungslosen Grundeinkommen in Deutschland träumt, sollte sich mit der Frage beschäftigen, wie sich ein solches auf die globalen Migrationsströme auswirken würde.

Dominik Enste:  Geld für alle. Das bedingungslose Grundeinkommen. Eine kritische Bilanz, Orell Füssli, broschiert, 108 Seiten, 10 Euro