© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/19 / 25. Oktober 2019

Eine grünere Landwirtschaft wird sauteuer
Vernunft statt Panik in Niedersachsen: Eine agrarische Intensivregion muß sich ökologisch neu orientieren
Dieter Menke

Die Niederlande erleben einen heißen Herbst: Bauern legen mit Trecker den Verkehr lahm und stürmen das Verwaltungsgebäude der Provinz Groningen. Die Polizei prügelt die verweifelten Landwirte wieder heraus auf die Straße. Auslöser für den Aufstand ist ein höchstrichterliches Urteil, den Stickstoffausstoß zu senken. Mit einem 180-Millionen-Euro-Programm will Agrarministerin Carola Schouten von der kleinen calvinistischen ChristenUnie die Schweinehalter zum Produktionssaustieg bewegen – doch die mitregierende linksliberale D66 will den Viehbestand sogar halbieren. Die Partei für die Tiere (PvdD) und die Grünen verlangen noch radikalere Maßnahmen.

Große Verunsicherung und Zukunftsangst

Auch viele Anwohner hätten nichts dagegen, würden die Ammoniak- und Stickstoffemissionen sowie die Geruchsbelästigungen, die in Ostbrabant, Nordlimburg oder Gelderland in der Luft liegen, merklich reduziert werden. Denn die Niederlande besitzen zwar nur ein Prozent der Landfläche der EU, produzierten aber 2018 mit 1,54 Millionen Tonnen 6,4 Prozent des Schweinefleisches – Rang sechs hinter Deutschland (5,34 Millionen Tonnen/22,4 Prozent), Spanien, Frankreich, Polen und Dänemark.

Die Niederlande sind mit einer auf 17,3 Millionen angewachsenen Einwohnerzahl nach Malta der dichtbevölkertste EU-Staat: 417 Personen leben hier auf einem Quadratkilometer – in Deutschland sind es 232. Doch auch hierzulande weht den Bauern grüner Wind entgegen. Joachim Rukwied, Chef des Deutschen Bauernverbandes, zeigte Verständnis für die Berufskollegen im Nachbarland: Angesichts der zu befürchtenden Dekrete des Berliner Klimakabinetts könnten deutsche Landwirte dem niederländischen Beispiel folgen. Die Zumutungen des „ökologischen Umbaus“ erzeugten Verunsicherung und Zukunftsangst.

Zur sozialen Explosion muß es aber nicht kommen, glaubt man der Studie über „Probleme und Perspektiven der Intensivlandwirtschaft in Nordwestdeutschland“, die Werner Klohn (Institut für Strukturforschung und Planung in agrarischen Intensivgebieten der Universität Vechta) in der Geographischen Rundschau veröffentlichte (9/19). Der Agrargeograph bemüht sich dabei, die Debatte über industrielle Landwirtschaft nicht auf den „Klimawandel“ zu redizieren. So gebe es viele Kontroversen, etwa die schlechten, Image- und Akzeptanzschäden verursachenden Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Schlachtbetrieben und in der fleischverarbeitenden Industrie, nicht nur in Nordwestniedersachsen. Dort dominieren unterbezahlte EU-Leiharbeiter. Was damit rechtfertigt wird, daß ansonsten weder der Bauer gute Kaufpreise noch der Konsument ein billiges Schnitzel erhielte.

Ebenso klimaentkoppelt ist der Dauerbrenner Tierwohl, das mit sparsamerem Antibiotikaeinsatz zu fördern sei. Damit zusammen hängt der Streit um artgerechte Haltung und die Tierdichte in den Ställen der Intensivlandwirtschaft. Keineswegs klimapolitisch induziert seien jene existenzbedrohenden Einbußen durch ansteckende Seuchen, die sich aufgrund der Tierdichte rasch ausbreiten. Im Baltikum, in Polen und Rumänien grassiert die Afrikanische Schweinepest. Im Herbst 2018 fand sich das Virus bereits bei Wildschweinen in Belgien, so daß akute Ausbreitungsgefahr für den von Klohn erforschten Raum Weser-Ems besteht.

In dieser Region, verteilt auf ein Dutzend Landkreise zwischen Ostfriesland im Norden und Grafschaft Bentheim im Süden, gibt es 6,2 Millionen Schweine, 17 Millionen Legehennen, 50 Millionen Masthühner, 4,3 Millionen Puten und 440.000 Milchkühe. Es ist ein Zentrum der Intensivtierhaltung und ihr nachgelagerter Bereiche wie Stallausrüster, Futterhersteller, Schlacht- und Verarbeitungsbetriebe. Hier kollidiert Landwirtschaft wie in Holland mit dem Umweltschutz – sprich: es geht um Nährstoff­überschüsse und Geruchsbelästigung.

Hohe Ammoniakemission im ländlichen Niedersachsen

Vieles davon beißt sich mit der NERC-Richtlinie (16/2284) zur Minderung der Schadstoffemissionen im Agrarbereich der EU. Der zufolge müssen Deutschlands Ammoniakemissionen, für die zu 95 Prozent die Landwirtschaft verantwortlich ist, bis 2030 gegenüber dem Stand 2005 um 29 Prozent sinken. Da ein Viertel der deutschen Ammoniakemission auf Niedersachsens Konto geht, sind bei größeren Tierhaltern tiefe Einschnitte nöig. Aber dabei wird nicht an Bestandsreduktion, sondern an Aufrüstung mit Luftfiltern gedacht. Die allerdings bürden den Betrieben „erhebliche Investitionskosten“ auf, so Klohn.

Ähnlich teuer werde „mehr Öko“ bei der „Achillesferse der Intensivtierhaltung“, der Bewältigung jener für Böden, Grundwasser und Atmosphäre unzuträglichen Nährstoffüberschüsse, die durch Importfutter in die Weser-Ems-Region gelangen und die als tierische Exkremente, zumeist als Flüssigdünger (Gülle), auf den Nutzflächen landen. Gemäß Düngeverordnung darf mit Tierdung pro Betrieb nur 170 Kilogramm Stickstoff pro Hektar aufgebracht werden. Ihre 2017 erfolgte Verschärfung bezieht jedoch Stickstoff aus anderen organischen Düngern tierischer und pflanzlicher Herkunft ein – was bei gleichbleibendem Mengenanfall zu höheren Nährstoffüberschüssen führt.

Für Klohn ist dieses Dilemma lösbar, aber kostenlos ist es ebensowenig wie die Minimierung der Geruchsbelästigung. Zu denken sei dabei an Einsatz von nährstoffreduziertem Futter und von Enzymen zur Steigerung der Verdaulichkeit des Phosphors. Oder an die noch ultrateure Wiederaufbereitung festen Gülle-Materials. Auswege aus den Überschuß-Kalamitäten, die mittelfristig indes nichts daran ändern, daß die Düngeverordnung den Bau zusätzlicher Güllelager erzwingt. Die Brisanz der Nährstoffüberschüsse zeige sich derzeit darin, daß 2018 etliche Großbetriebe ihre Überschußgülle nicht vollständig ökologisch entsorgen konnten und daher ihre Tierzahlen verringern mußten. Insoweit markiert der Gesetzgeber ohnehin erreichte Grenzen des Wachstums.

Im Weser-Ems-Raum, so glaubt Klohn, ließen sich Ökologie und Ökonomie versöhnen. Seit 2017 bestehe der „Verbund Transformationswissenschaften“. Unter seinem Dach entwickeln Hochschulen in Kooperation mit der niedersächsischen Landwirtschaftskammer „Zukunftsperspektiven und Handlungsoptionen“ für diese agrarische Intensivregion. Es bestehe die Hoffnung, mit Hilfe des Verbundes die Transformation zur nachhaltigen Agrar- und Ernährungswirtschaft im Nordwesten der Republik zu schaffen.

Klingt überzeugend, weil vernünftig und realisierbar – im Gegensatz zum Greta-Klimamodell „Panik“, das auf De-Industrialisierung zur „Weltrettung“ setzt. Und es könnte auch den niederländischen Bauern Hoffnung geben.

Institut für Strukturforschung und Planung in agrarischen Intensivgebieten (ISPA):  uni-vechta.de

Niederländischer Bauernverband LTO:  lto.nl/