© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/19 / 25. Oktober 2019

Umwelt
Eine Wende ins Nichts
Tobias Albert

Während freitags auch angehende Physiker die Apokalypse prophezeien, der nur durch energetische Enthaltsamkeit zu entgehen ist, analysieren fleißigere Fachkollegen die Klimaerwärmung mit eher nüchterner Kälte. Und da nach dem Atom- auch der Kohleausstieg droht, steht dabei die Energiewende der Physikerin Angela Merkel im Fokus: Friedrich Wagner, emeritierter Professor für Hochenergiephysik in Greifswald, zieht in der aktuellen Ausgabe des Physik Journals (10/19) dazu eine alarmierende Bilanz. 2022 fallen die letzten AKWs, die jährlich 76 Terawattstunden (TWh) Strom liefern weg. Im selben Jahr soll zudem nur noch eine Kohlekraftwerksleistung von 30 Gigawatt (GW) am Netz bleiben, was Wagner in einen Verlust von etwa 70 TWh umrechnet. Gleichzeitig sei von einem Ausbau der erneuerbaren Energieträger bei passender Witterung nur ein Zuwachs von etwa 25 TWh zu erwarten – bei Bedingungen wie im Jahr 2016 sogar trotz Ausbaus ein leichtes Minus.

Immer weniger Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit.

Der frühere Präsident der European Physical Society kommt zum Schluß, daß dieser Vergleich „Probleme mit der vertraut hohen Qualität der Stromversorgung erwarten“ lasse. Die deutlich höheren Strompreise – 29,6 Cent pro Kilowattstunde verglichen mit 17 Cent in Frankreich – sind bekannt: So hätte die BASF seit 2013 500 Millionen Euro mehr verbucht, wenn sie dieselben Strompreise wie in den USA bezahlt hätte. Und ohne die CO2-arme Kernenergie liegt die deutsche CO2-Emission mit 486 Gramm pro kWh deutlich über den französischen 76 Gramm. Wagner schlußfolgert, daß die Stromversorgung „durch die Energiewende in puncto Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit eingebüßt“ hat. Wäre die Energiewende eine Studentenarbeit, würde er sie wohl mit einem „Versucht es nächstes Semester erneut“ bewerten.