© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/19 / 25. Oktober 2019

Knapp daneben
Siegeszug des Rechtsstaats
Karl Heinzen

Wie lange dürfen Bäckereien am Sonntag Brötchen verkaufen? Diese Rechtsfrage hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil mit dem schönen Aktenzeichen I ZR 44/19 nun zumindest ansatzweise beantwortet. Kann der Kunde sich in dem Geschäft auch mit einem Kännchen Kaffee oder anderen Köstlichkeiten bewirten lassen, gilt es als Bäckereicafé. Als solches unterliegt es nicht länger der Ladenschlußgesetzgebung, sondern dem Gaststättenrecht mit seinen erheblich flexibleren Öffnungszeiten.

Den Anstoß für das Verfahren hatte die „Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs“ gegeben, der es eine Herzensangelegenheit ist, die Rechtsordnung im Zweifelsfall auch gegen die Alltagsinteressen der Bürger durchzusetzen, sofern sie aus lauter Bequemlichkeit unfairen Anbietern auf den Leim gehen. 

Die Richter haben die Chance verpaßt, festzulegen, wie lange die Schlange maximal sein darf. 

In diesem Fall kam offenbar sogar ein Lockspitzel zum Einsatz, der in einer Münchner Bäckerei an Pfingsten 2017 außerhalb der durch das bayerische Ladenschlußgesetz vorgegebenen Öffnungszeit eine Brezel und zwei Krusti erwarb. Zweieinhalb Jahre nach diesem brisanten Vorfall dürfen sich die Wettbewerbsschützer zwar nicht in seiner juristischen Bewertung bestätigt sehen. Der Rechtsstaat hat dennoch wieder einmal einen Sieg davongetragen. Allerdings sind wir immer noch weit von seiner vollständigen Durchsetzung entfernt. Solange es im Zusammenleben der Menschen Bereiche gibt, die noch nicht vollständig durch das Gesetz geregelt sind, geht die Angst um, der Willkür anderer schutzlos ausgeliefert zu sein. Insofern hat der Bundesgerichtshof die Chance vertan, den Menschen noch mehr Sicherheit zu bieten. Hätte er etwa endlich festgelegt, wie lange die Schlange an der Theke zu welcher Uhrzeit maximal sein darf und daß die gesamte Produktpalette stets verfügbar zu halten ist, könnten die Menschen ihren Sonntagmorgen viel entspannter genießen, weil sie nicht mehr befürchten müßten, endlos anzustehen, um dann gesagt zu bekommen, daß die Croissants ausverkauft sind. Wir dürfen uns aber trösten: Auch dazu wird es sicher irgendwann einmal ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofes geben.