Nicht nur in Medien und Politik, sondern auch an unseren Universitäten spielt sich seit Jahren vielerlei Unvernunft selbstgefällig auf. Sie setzt sich auch immer wieder durch. Etwa so: Eine gesinnungsethisch attraktive Position wird zur medialen Mehrheitsmeinung gepusht. Der darf sich jeder gern anschließen. Wer sie – sobald für moralisch alternativlos erklärt – dann trotzdem nicht vertritt, ist wohl dumm oder schlecht.
Wenn ihm Kluge und Anständige das vor Augen führen, etwa durch lauten Protest, sollte er sich nicht beklagen. Er sollte sich vielmehr bessern – oder verschwinden. Sein Recht auf Meinungs- oder Lehrfreiheit wurde ja nicht eingeschränkt. Gezeigt wurde nur, daß er es schlecht nutzte und jetzt den dafür fälligen Preis bezahlt. Auch ist es nur gut, wenn exemplarische Strafen fortan andere anhalten, mit ihrer Freiheit wünschenswerter umzugehen. Und vor uneinsichtigen Wiederholungstätern hat man die Meinungsmehrheit ohnehin zu schützen.
So in etwa denken jene, die unerwünschte Publizisten, Politiker und Wissenschaftler nicht zu Wort kommen lassen, sie um Ressourcen wie akademische Infrastruktur bringen wollen oder sich – über üble Nachrede hinaus – gar am Rufmord versuchen. Jüngste schlagzeilenträchtige Vorgänge um Bernd Lucke oder Thomas de Maizière haben nun auch den Bundespräsidenten zur Kritik an „aggressiven Gesprächsverhinderungen“ und Einschüchterungsversuchen gebracht. Ein unlängst erschienener Sammelband über „Die Freiheit der Wissenschaft und ihre Feinde“ dokumentiert nicht weniger als acht jüngere solcher Fälle an deutschsprachigen Universitäten.
Woher kommt gerade dort die Neigung, einen Gegner lieber zum Schweigen als seine Position um ihre Plausibilität zu bringen? Universitätsaufgabe wäre es, einen institutionell gesicherten Freiraum zum Hinterfragen von allem zu schaffen, eine ansonsten befriedete Arena zum Streiten allein mit Argumenten. Wo es um Natur, Technik und Mathematik geht, gelingt das meist gut. Dort aber, wo Werturteile und deutungsstiftende Narrative ins Spiel kommen, mißlingt das allzu oft. Warum? Erstens: Die kulturelle Hegemonie der 1968er und ihrer Epigonen zeigt breite Risse; also kämpfen die bisherigen Hegemonen jetzt wie Krieger, die ihren Untergang fürchten. Zweitens: Kein Assistent, Professor, Dekan oder Rektor will Ärger oder Anfeindungen; also tauchen viele bequem ab oder hängen opportunistisch ihr Fähnchen in den Wind. Und drittens: Legitimer Idealismus der akademischen Jugend führt gerade an geistes- und sozialwissenschaftlichen Fakultäten leicht zur Haltung von Rigorismus und moralischer Arroganz, auch zu einer Mischung aus Weinerlichkeit und Aggressivität. Das alles setzt der Vernunft allzu enge Grenzen gerade dort, wo sie eigentlich aufblühen sollte: an der Universität.