Herr Klamroth, lange haben die Bauern nicht mehr demonstriert. Warum jetzt wieder?
Kurt-Henning Klamroth: Was viele Bürger nicht mitbekommen haben ist, daß der Protest nicht von uns, den Bauernverbänden, organisiert wurde, sondern ein Aufstehen der Basis ist! Ich finde das gut, und natürlich haben wir ihn unterstützt. Denn er zeigt, wie groß Verzweiflung und Wut vieler Bauernfamilien inzwischen sind. Als sich vergangene Woche allein zweitausend Schlepper auf den Weg zum Bundeslandwirtschaftsministerium in Bonn gemacht haben und mit weiteren 13.000 Traktoren in anderen deutschen Städten demonstriert wurde, dachte ich nur: Hoffentlich dreht keiner unserer Bauern durch!
Warum denn das?
Klamroth: Zum einen, weil die wirtschaftliche Lage vieler Höfe durch eine geradezu perverse Agrarpolitik inzwischen sehr prekär ist. Zum anderen wegen der permanenten Anfeindungen, die wir seitens Politik, Medien, Umweltverbänden und eines Teils der Gesellschaft erdulden müssen. Das hat Ausmaße angenommen, die nicht mehr erträglich sind!
Übertreiben Sie nicht? Es gibt auch viel Verständnis in Medien und Öffentlichkeit.
Klamroth: Was ich auch nicht leugne, aber viel häufiger sind unfachliche Diffamierungen: der Bauer als Buhmann, verantwortlich für Tierleid, Insektensterben, Chemie im Essen, Grundwasserverschmutzung und dank Klein-Greta jetzt auch noch für die Klimaerwärmung. Die Folgen spüren wir im Alltag: es reicht von blöden Sprüchen, wenn man in die Kneipe kommt, über wüsteste Beschimpfungen bei der Feldarbeit durch Passanten, die uns „Umweltvergifter“, „Tierquäler“, gar „Nazis“ nennen – bis hin mitunter zum Mobbing von Bauern-Kindern in der Schule. Das Maß ist voll!
Aber Tierleid, Insektensterben, Grundwasserverschmutzung etc. sind doch Fakt.
Klamroth: Ist eine bestimmte Schadschwelle erreicht, sprühen wir natürlich Insektizide gegen Ungeziefer, also gegen die Ernte massiv bedrohende Schadinsekten. Das tut auch jeder Bürger zu Hause, vermutlich viel intensiver, wenn er gegen lästige Fliegen sprüht – und das garantiert ohne vorherige Schadschwellenanalyse. Dünger, der von der Pflanze in der aktuellen Vegetationsperiode nicht völlig verbraucht wird, bleibt natürlich erst einmal als positiver Saldo im Boden, das heißt aber noch lange nicht, daß er ins Grundwasser geht. Übrigens, bis er überhaupt ins dreißig Meter tiefe Grundwasser sickert, dauert es vierzig Jahre! In den lokal sehr begrenzten Gebieten mit Stickstoffüberschuß, etwa bei uns in Sachsen-Anhalt, diskutieren wir also über Altlasten oder Hinterlassenschaften der DDR-Ära. Bauern sind heute fachlich viel weiter und düngen umweltbewußter, als daß das von links-grünen Ideologen als „Argument“ mißbraucht werden dürfte. So werden schlagbezogene Analysen gemacht – ein Schlag ist ein landwirtschaflich genutztes Stück Land – und gemäß komplizierter Berechnungen wird exakt gedüngt. Wenn man wirklich wissen will, welchen Anteil die Landwirtschaft tatsächlich an der Grundwasserbelastung hat, sollte man Proben aus Auffanggräben von Feldern nehmen. Ich habe deren Wasser vor laufender Kamera getrunken – und erfreue mich bester Gesundheit! Übrigens, trotz, oder besser wegen, des Einsatzes von Chemie ist Menge und Qualität der Nahrung heute viel höher als davor – als sie oft von Krankheitserregern befallen oder von Schädlingen vernichtet wurde. Wir werden immer älter, und das ist vor allem wohl auf gesunde Ernährung zurückzuführen. Doch all das bleibt in den Medien gern unerwähnt. Dort werden wir lieber als die Verursacher von Problemen dargestellt, die in Wahrheit Folge unserer modernen Massengesellschaft sind.
Woher rührt die verzerrte Wahrnehmung?
Klamroth: Ich meine von einer immer massiver werdenden unfachlichen Öko-Ideologie, getragen vom Zeitgeist, vielen Medien, von fast allen Parteien, insbesondere den Grünen, und immer aggressiveren Umwelt-Lobbyverbänden. Letztere haben inzwischen solchen Einfluß auf die Politik, daß die ihren Forderungen oft folgt, ohne sie zu hinterfragen. So werden immer häufiger Maßnahmen ergriffen und Steuergeld verschwendet, die der Umwelt nichts bringen, wenn nicht gar schaden, den Bauern aber das Überleben schwerer, wenn nicht unmöglich machen.
Aber die Politik machen weder Grüne noch Lobbyverbände, sondern die Bundesregierung unter Führung der Union.
Klamroth: Das stimmt, und ich habe immer davor gewarnt, daß CDU/CSU mehr und mehr Richtung Rot-Grün rücken – um zu verhindern, daß linker ideologischer Unsinn in die Mitte der Gesellschaft vordringt. Wenn eine bürgerliche Partei sich Richtung Rot-Grün verändert, kann sie keine zukunftsfeste Wirtschaftspolitik machen, was ich für den Standort Deutschland sehr gefährlich finde!
Sie sind doch selbst CDU-Mitglied.
Klamroth: Sogar seit über dreißig Jahren – und wie sehr ich jahrzehntelang für die Union gekämpft habe! Um so bitterer ist es, heute erleben zu müssen, wie meine Partei in Teilen Agrarpolitik unter ideologischen Vorzeichen ausgerechnet der Grünen macht. Und wie sich deshalb immer mehr Bauern von ihr abwenden.
Wohin?
Klamroth: Immer mehr zur AfD. Inzwischen heuern selbst gute Leute, die sich mit der Materie auskennen, leider bei der AfD an, um dort Agrarpolitik zu machen. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 2016 haben bereits 22 Prozent der Bauern AfD gewählt, 2019 in Sachsen waren es schon 34 Prozent – hauptsächlich zu Lasten der CDU. Im Grunde geht es uns wie Dieselfahrern oder Eigenheimbesitzern, die „klimagerecht“ renovieren müssen. Wir werden traktiert und so mancher ruiniert – nicht um Umwelt- und Naturschutz, sondern um eine Ideologie durchzusetzen, die oft bar jeder Vernunft und Wissenschaftlichkeit längst machtpolitischer Selbstzweck ist. Wir kämpfen also nicht nur für unsere Höfe und unseren Stand, sondern gegen eine Ideologie, die die ganze Gesellschaft im Visier hat und die nicht haltmachen wird, sollte es ihr eines Tages gelingen, die deutschen Bauern zu ruinieren.
Sie sind also enttäuscht von der CDU?
Klamroth: Nein, das ist das falsche Wort. Ich bin verärgert – darüber, daß wertvolle wertkonservative Grundsätze und eine treue, immerhin noch zu 75 Prozent konfessionell christlich gebundene Wählerschaft zugunsten des Zeitgeists aufgegeben wird. Die übergroße Mehrheit der Bauern betreibt eine leistungsfähige Landwirtschaft, die sich auf die Generationsverantwortung und den Schöpfungsgedanken bezieht. Der Liebe Gott hat uns als „Fleischfresser“ auf die Welt geschickt – aber solange wir mit Natur und Tieren leben, wird mit diesen anständig umgegangen! Dafür brauche ich bestimmt keine Nachhilfe irgendwelcher durchgeknallter Grüner! Und ich setze auch schon deshalb keine Mittel ein, die die Umwelt vergiften, weil ich damit die Existenz meines Sohnes, der zum Glück den Hof übernimmt, und damit Tradition und Erbe, zerstören würde. Für unsere Familie läßt sich die Zugehörigkeit zum Bauernstand nämlich bis ins Jahr 1632 dokumentieren. Sie müssen bedenken: unser Stand denkt in Generationen! Und oft ist nichts wichtiger, als daß der Hof eines Tages von den Kindern weitergeführt wird. Zum Schlimmsten gehört, wenn sie dir sagen, daß sie das nicht tun werden, weil die Landwirtschaft wegen der Agrarpolitik nur noch viel Arbeit und Sorgen, aber keine Sicherheit mehr bringt und man sich obendrein ständig rechtfertigen und beschimpfen lassen muß.
Auch wenn es unzulässig ist, Bauern nur als Urheber von Umweltproblemen zu sehen, verursachen sie solche natürlich. Ein gewisses Reglement – jenseits von Ideologie – müßten Sie also doch akzeptieren, um Landwirtschaft ökologischer zu machen?
Klamroth: Dagegen ist nichts einzuwenden, und es ist im übrigen auch keine Erfindung des heutigen Zeitgeists. Denn spätestens seit den preußischen Reformen Hardenbergs und Steins ab 1807, zu denen auch eine Agrarreform gehörte, und dem bahnbrechenden Wirken Johann Heinrich von Thünens 1826 ist vernünftige Reglementierung Teil landwirtschaftlicher Produktion. Und werden Insektizide ordnungsgemäß eingesetzt, kann es zu keinem Bienensterben kommen. Aber solche „Details“ interessieren natürlich nicht – viel einfacher ist es, uns das Bienensterben in die Schuhe zu schieben und Maßnahmen zu erlassen, die uns kujonieren, den Bienen nichts bringen, aber den Eindruck erwecken, die Politik tue etwas. So läuft das!
Sie wollen behaupten, es gäbe in der Landwirtschaft ökologisch nichts zu verbessern?
Klamroth: Nein, aber das müssen sinnvolle, wissenschaftlich begründete Vorschläge sein. Etwa ist die teilflächenspezifische Ausbringung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln heute, dank modernster Prozeßsteuerung an der Optimierungsgrenze. In vielen Gesprächen mit Politik und Verwaltung habe ich, oft auch mit Zorn, zur Kenntnis nehmen müssen, daß viele zwar „quatschen“, aber keine Ahnung haben – was kümmern die Fakten, solange, was sie machen, ins einschlägige politische Meinungsbild paßt! Und wenn sich die eine oder andere Meßstelle nicht eignet – sprich, nicht die „gewünschte“ Grundwasserbelastung“ anzeigt –, wird nicht gesagt, alles in Ordnung, sondern man verlegt den Meßpunkt eben an einen anderen Grundwasser-„Hotspot“.
Die Lage der Bauern ist allerdings nicht nur Folge grassierender Öko-Ideologie.
Klamroth: Ja, das stimmt. Aber wenn ich diesen Faktor anteilsmäßig einschätzen sollte, würde ich sagen, er macht etwa sechzig Prozent – also immerhin über die Hälfte – unserer Problemlage aus.
Sie kritisieren Ökoverordnungen, die den Bauern das Überleben unmöglich machen würden. Tatsächlich aber klagen diese über so wirkende Regulierungen schon seit Jahrzehnten, lange bevor CDU/CSU auf den grünen Zeitgeist eingeschwenkt sind.
Klamroth: Auch das stimmt. Doch war es von der damaligen bürokratischen Überregulierung zur heutigen ökoideologischen ein erheblicher quantitativer und qualitativer Sprung! Und auch wenn es nie gehalten wurde, damals hat jede Partei versprochen: Wählt uns, wir bauen Bürokratie ab! Heute dagegen werben sie mit dem Versprechen immer mehr grüner Regulierung! Dennoch, ja, nicht alles Unheil kommt von links. Ich habe schon beklagt, die Politik plage uns mit Öko-Regelungen, ohne zu wissen, wie die Situation wirklich ist. In der Tat findet sich dieses Problem auch unabhängig vom Öko-Thema. So behauptet die Politik unverdrossen, eine Arbeitskraft in der Landwirtschaft habe 36.000 Euro durchschnittliches Jahreseinkommen. Da bleibt mir die Spucke weg! Seit Jahren laufen wir gegen diese Phantasiebeispielrechnung Sturm, ohne Erfolg. Doch wie wollen Politiker verantwortungsbewußte Agrarpolitik machen, wenn sie die Lage der Bauern falsch ein- und überschätzen? Bauern finanzieren zum Beispiel Kredite für Grunderwerb aus ihrem versteuerten Einkommen: Erst bezahlen sie Einkommenssteuer und aus dem dann der Familie zur Verfügung stehenden Betrag noch den Ackerkauf.
Was werden die Proteste bewirken?
Klamroth: Sie haben erst einmal eine große Aufmerksamkeit geschaffen, aber das politische Leben ist natürlich viel komplizierter. Es ist wichtig, daß die eigentliche Agrarpolitik gemeinsam mit den legitimierten Berufsständen gemacht wird, und deren hoher Sachverstand wieder Einzug in die agrarpolitischen Aktivitäten und Entscheidungen von Bund und Ländern findet. Für viele Betriebe ist es längst „nach zwölf“, und wenn wir uns nicht sofort und gründlich auf unsere konservativen Werte besinnen, gehen nicht nur Strukturen und Traditionen auf den Bauernhöfen verloren, sondern der gesamte ländliche Raum wird irreversiblen Schaden nehmen. Ich ärgere mich aber über den immer gleichen Gesichtsausdruck der abgewählten Politiker oder über ihren geheuchelten Kommentar: „Jetzt haben wir euch verstanden!“ Das ist dümmlich, und sie sind überbezahlt.
Kurt-Henning Klamroth, ist Präsident des Deutschen Bauernbundes, einer von mehreren Dachorganisationen privater Landwirteverbände in Deutschland, mit Schwerpunkt in Mitteldeutschland. Der Landwirt bewirtschaftet in Thale im Harz (Sachsen-Anhalt) den in der DDR enteigneten Traditionshof seiner Familie mit 140 Kühen und fast 400 Hektar Land, der 1990 restituiert wurde. Dort wurde der auf Landwirtschaftstechnik spezialisierte Diplomingenieur 1952 geboren.
Foto: Deutschlandweiter Landwirte-Protest am 22. Oktober (hier in Stuttgart): „Die Anfeindungen seitens Politik, Medien, Umweltverbänden und Gesellschaft sind nicht mehr erträglich“