© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/19 / 01. November 2019

Joe Weingarten rückt zum Leidwesen vieler in der SPD in den Bundestag nach.
„Sarrazin der Pfalz“
Christian Schreiber

Das hat uns gerade noch gefehlt!“ So könnte man sich die Gedanken leidgeplagter Sozialdemokraten in den vergangenen Tagen vorstellen. Kaum daß Ex-Parteichefin Andrea Nahles ihren endgültigen Abschied bekanntgegeben hatte, dämmerte den Strategen im Willy-Brandt-Haus, wer für sie in den Bundestag nachrücken wird. 

Gestatten: Joe Weingarten, 57 Jahre alt, Pfälzer, promovierter Verwaltungswissenschaftler im Öffentlichen Dienst und neustes Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion. Geboren in Bad Kreuznach, seinem Wahlkreis, aufgewachsen in Idar-Oberstein, ist der Vater dreier Kinder seit vier Jahrzehnten Genosse und der Prototyp eines konservativen Sozis. Zudem sagt man den Menschen seiner Gegend eine gute Portion Sturheit nach. Und so mangelt es nicht bereits an Spitznamen:  „Boris Palmer der SPD“, „Pfalz-Sarrazin“ oder auch „Little Joe“, in Anlehnung an die Westernserie „Bonanza“. „Brillant, aber polarisierend. Großartig, aber geltungssüchtig. Belebend, aber zerstörerisch“, so beschreibt ihn das hiesige Regionalblatt Rheinpfalz. 

Vor allem wegen seiner migrationspolitischen Äußerungen wird Weingarten in der eigenen Partei kritisiert. In einer Rede 2018 hatte er Flüchtlinge in drei Kategorien eingeteilt: Jene, die wegen Verfolgung flöhen, andere, die aus wirtschaftlicher Not Zuflucht suchten, und eine dritte Gruppe, die kriminelle Absichten hätten. Letztere bezeichnete er als „Gesindel“ und ließ wissen, daß er als Abgeordneter dafür eintreten wolle, Zuwanderung einer „klaren Regulierung“ zu unterwerfen. Außerdem teilte er mit, das Modell einer „sich stets erneuernden und modernisierenden Industriegesellschaft“ dürfe nicht „aus klimapolitischer Panik“ über Bord geworfen werden. Das SPD-Ergebnis bei der Bundestagswahl nannte er ein „Desaster mit Ansage“, ihre Fixierung auf sozialpolitische Themen „Quatsch“, und für den Aufstieg der Grünen machte er „das Wohlwollen grüner Medien“ verantwortlich. Kürzlich plädierte er sogar dafür, mehr mit jenen zu reden, „die rechts der Mitte stehen und sich im allgemeinen linksliberalen Mainstream nicht mehr aufgehoben fühlen“.

Das konnte natürlich nicht ohne Konsequenzen bleiben. Der SPD-Kreisverband Bad Kreuznach entschied per Vorstandsbeschluß, Weingarten solle keine politische Zukunft mehr haben. Der wird es verschmerzen können, denn von seiner Stelle im Mainzer Wirtschaftsministerium ist er für die Ausübung seines Mandats nur beurlaubt. Nach der Legislaturperiode genießt er ein Rückkehrrecht, und zudem ist der Renteneintritt nicht mehr allzu fern. Da seine politische Karriere also fast schon vorbei ist, bevor sie richtig begonnen hat, dürfte Weingarten für den einen oder anderen markigen Auftritt in Berlin gut sein. Den Mund, so hat er bereits angekündigt, werde er sich nicht verbieten lassen.