An der Hydraulik am Heck des Traktors war ein Sarg angebracht, darunter ein Schild mit der Aufschrift: „Ich heiße nicht Greta, sondern Jens. Ihr zerstört nicht meine Kindheit, sondern meinen Berufsstand!“ Mit dieser Anspielung auf den Auftritt der schwedischen Klima-Aktivistin Greta Thunberg bei der Uno hatte ein Bauer aus dem niedersächsischen Kreis Hildesheim seinem Unmut über die Situation der Landwirtschaft Luft gemacht. Ein Foto davon, aufgenommen in Hannover bei einer der bundesweiten Bauern-Demonstrationen vergangene Woche, verbreitete sich rasch in den sozialen Netzwerken und erhielt viele zustimmende Reaktionen. Der Mann hatte offensichtlich auf den Punkt gebracht, was viele seiner Berufsgenossen genau so empfinden.
„Landwirtschaft gehört ins Kanzleramt“
In zahlreichen WhatsApp-Gruppen äußern sich die meisten Teilnehmer zufrieden über den großen Protesttag im ganzen Land: Endlich habe man mal gemeinsam Flagge gezeigt! So viele Bauern waren mit ihren Schleppern unterwegs, im Konvoi über die Autobahn in die großen Städte. Und alles „von unten“, von der Basis und nicht von den Verbänden organisiert. Laut, aber friedlich sei man gewesen, genau wie geplant. Natürlich gab es Verkehrsbehinderungen, aber das sollte ja auch sein, schließlich wollten sie sich bemerkbar machen in den Städten, die Leute vom Land … Aber es gab trotz der großen Teilnehmerzahl keine Zwischenfälle, keine Gewalt, keine Zerstörungen. Im Gegenteil: manche Protestgruppen hatten nicht nur Transparent und Flugblätter, sondern auch Kuchen dabei, zum Verteilen an Passanten; um ins Gespräch zu kommen und zu zeigen, was man produziert.
Endlich gab es auf ihre Unmutsäußerungen mal ein Echo in den Medien, die sich sonst für Landwirtschaft nur interessieren, wenn es wieder mal einen Skandal gibt, verunreinigtes Hühnerfutter oder unsachgemäße Tierhaltung. Was viele Bauern jedoch an einigen Berichten über die Proteste stört, sind mißverständliche Formulierungen oder verkürzende Darstellungen.
Eine Ferkelzüchterin etwa beklagt auf ihrem Blog: „Landwirte sprechen sich gegen das Agrarpaket der Bundesregierung aus – ja, das stimmt. Dieses beinhaltete mehr Insekten-, Tier- und Umweltschutz. Demnach sind die Landwirte gegen mehr Tierschutz, Insektenschutz und Umweltschutz – nein, das stimmt nicht. Landwirte möchten einfach ‘nur’ mitgestalten. Sie wollen ihren Beitrag leisten und tun dies auch jetzt bereits. Sie wollen mitgenommen werden – denn nicht alles, was sich in der Theorie gut anhört, läßt sich auch in der Praxis 1:1 umsetzen.“ Düngung, Pflanzenschutz – alles das sind komplexe Zusammenhänge, auf die die Politik auch unter dem Einfluß von lautstarken Nichtregierungsorganisationen gerne einfache Antworten liefert: verbieten. „Das ist wie bei der Hysterie um Feinstaub und den daraus resultierenden Fahrverboten“, regt sich ein Bauer bei den Protesten auf. „Aber da merken es viele, in unserer Branche müssen nur wenige mit den Folgen klarkommen.“
Das sei kein Agrarpaket (JF 38/19), „das ist ein Strukturwandelbeschleunigungspaket“, schimpft ein niedersächsischer Landwirt im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Die deutschen Bauern seien künftig kaum noch wettbewerbsfähig, nicht einmal innerhalb der EU. Vor allem kleinere und mittlere Familienbetriebe seien bedroht. Mit den praxisfernen Auflagen für mehr Umwelt- und Klimaschutz werde es nicht mehr Bio-Bauern geben, sondern nur weniger Bauernhöfe. Die Lebensmittel für die preisbewußten Verbraucher produzieren dann zunehmend die großen Agrarfirmen oder branchenfremde Unternehmen, die sich die gestiegenen Pacht- oder Kaufpreise und auch die erzwungene Nicht-Bewirtschaftung eines Teils der Flächen leisten können. Die erhöhten Auflagen bewirkten faktisch das Gegenteil dessen, was man eigentlich zu erreichen vorgibt. Denn wenn immer mehr günstigere Nahrungsmittel aus dem Ausland importiert werden, gibt man im Endeffekt die Kontrolle darüber ab, wie diese produziert werden.
Auf der großen Demonstration in Hannover hatte Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) gefordert, Angela Merkel müsse die Agrarpolitik zur Chefsache machen. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und Umweltministerin Svenja Schulze „kriegen das nicht hin“, stellte die Politikerin fest. Deswegen gehöre „die Landwirtschaft ins Kanzleramt“. In Berlin heißt es dagegen, die Kanzlerin stehe mit beiden Ministerinnen „im Austausch und hat volles Vertrauen in deren Arbeit“. Auf die konkrete Frage, ob Merkel den Agrarkonflikt zur Chefsache gemacht habe, antwortet Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer nur mit einem Lächeln. Klöckners Ministeriumssprecherin möchte die Kritik aus Niedersachsen „nicht bewerten“.
Sollen die Proteste nun weitergehen? Ja, sagen die meisten der in zahlreichen Regionalgruppen vernetzten Landwirte. Allerdings eher regional; unwahrscheinlich ist, daß in Kürze nochmal eine solch große Aktion wie vergangene Woche gestartet wird. Dafür fehlen ihnen schlicht die Kapzitäten. Hinter ihnen stehen keine Kampagnen-Netzwerke wie bei den NGOs. Ackerbauern, die jetzt ihre Rüben roden lassen, müssen zusehen, daß sie im Anschluß die Getreidesaat drillen. Und die Tierhalter haben ohnehin täglich im Stall zu tun, da bleibt zum Demonstrieren eigentlich keine Zeit.