Geht es nach der Bertelsmann-Stiftung, haben Union und SPD mit ihrer Großen Koalition auf Bundesebene das Soll übererfüllt: 61 Prozent der im Koalitionsvertrag formulierten 296 Versprechen seien umgesetzt, fanden die Bertelsmänner anläßlich der Halbzeit des Bündnisses nach zwei Jahren der 19. Legislaturperiode heraus. Die Wähler beurteilen die Arbeit der Groko ganz anders: Dramatische Verluste bei fast allen auf die Bundestagswahl folgenden Wahlen machten aus der „Großen“ längst eine Minderheiten-Koalition.
Es ist nicht so, daß Union und SPD untätig gewesen wären – ganz im Gegenteil. Gesetze wurden in Serie verabschiedet – zur Bewältigung des Zuwanderungs- und Flüchtlingsproblems, für die bessere Unterbringung von Kindern in Tagesstätten („Gute-Kita-Gesetz“) sowie zu Mindestlöhnen, Rentenstabilisierung bis 2025, Brückenteilzeit und einem „Baukindergeld“. Letzteres gilt mit bisher 135.000 Anträgen als einziger vorzeigbarer Erfolg von Innen- und Bauminister Horst Seehofer (CSU). Außerdem wurde der Kohleausstieg beschlossen. Im Haushalt wurde die „Schwarze Null“ (dank Nullzinsen) gehalten, die Neuordnung der Grund- und Grunderwerbsteuer auf den Weg gebracht. Der Abbau des Solidaritätszuschlages für 90 Prozent der Zahler ab 2021 dürfte kommen.
Wichtiger ist indes, was nicht erreicht wurde: In der Außen- und Sicherheitspolitik besteht ein offener Dissens zwischen Union und SPD, was zuletzt am Streit um die Einrichtung einer „Sicherheitszone“ in Nord-Syrien deutlich wurde. In der Europapolitik gibt es ebenfalls keine Fortschritte, auch wenn es gelang, die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) aus dem Affären-Sumpf im Berliner Bendlerblock zu ziehen und als EU-Kommissionspräsidentin nach Brüssel zu entsorgen. Aber auch sie dürfte nicht genug Macht haben, die gegen die deutsche Wirtschaft und besonders die Autobranche gerichtete EU-Politik immer strengerer Umwelt-Grenzwerte zu stoppen.
Der Defizitkatalog der Großen Koalition ist ungleich größer als die Leistungsbilanz, was jeder merkt, der versucht, mit dem Handy länger als ein paar Minuten zu telefonieren oder im Zug Daten zu empfangen oder zu versenden. In puncto Wettbewerbsfähigkeit fiel Deutschland im internationalen Vergleich vom dritten auf den siebten Platz zurück. Bei der Steuer- und Abgabenbelastung versucht die Bundesrepublik gerade, Belgien den Spitzenplatz in der OECD-Statistik abzunehmen. Die „Digitalministerin“ Dorothee Bär (CSU) macht mehr durch Latex-Kostüme als durch Konzepte von sich reden. Und wer den Zustand der Infrastruktur erleben will, muß nur den Versuch unternehmen, 500 Kilometer am Stück in fünf Stunden mit Auto oder Bahn zurückzulegen: Es klappt selten. Statt mehr Geld in Infrastruktur zu pumpen, wird in Windräder und eine nicht funktionierende Energiewende investiert.
Für das, was kommt, ist die Koalition zu schwach
Mieten und Hauspreise steigen weiter, was auch eine Folge des Gelddruckens der Europäischen Zentralbank ist, die von der Bundesregierung schweigend hingenommen wird. Die Sparer haben durch die Nullzinsen 300 Milliarden Euro verloren, Lebensversicherungen und Banken gehen am Stock. Die Große Koalition hat bisher nur Problemchen gelöst; für das, was auf uns zukommt, ist sie zu schwach.