© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/19 / 01. November 2019

Grüße aus Kapstadt
Völlig perplex
Elke Lau

Unsere legendäre Reise mit dem Traditionsschiff gehörte schon längst der Vergangenheit an. Ausgerechnet heute, an einem traumhaften Abend auf der Terrasse eines wunderschönen Restaurants in Kapstadt holt sie uns wieder ein.

Unser Ziel war damals das Nordkap. Die See war ruhig, Bergen lag schon hinter uns und wir genossen das sonnige Wetter auf dem Balkon.

Plötzlich wurde die friedliche Stimmung durch eine Lautsprecherdurchsage des Kapitäns unterbrochen: „Wir bitten alle Passagiere, Decks und Balkone sofort zu verlassen. Wegen eines erkrankten Crewmitglieds haben wir einen Hubschrauber von der nächstgelegenen Bohrinsel angefordert.“

Natürlich platzten wir vor Neugier und drückten uns die Nasen an den Fensterscheiben platt. Wenige Minuten später kreiste der Helikopter über dem Schiff, seilte eine Person ab, die nach einer Stunde wieder abgeholt wurde. Endlich Durchsage des Kapitäns: „Ab sofort sind Decks und Balkone wieder freigegeben.“

Wir schreiben ein paar passende Zeilen an den Kapitän und spenden etwas Geld.

Verwundert lasen wir dann im Programm für den nächsten Tag, daß das Schiff inzwischen seine Route geändert hat. Zusätzlich wird in der Nacht ein Brief unter der Tür durchgeschoben: Das Crewmitglied ist nach der Attacke eines philippinischen Landsmanns verstorben.

Wir schreiben ein paar passende Zeilen an den Kapitän und spenden etwas Geld für die Hinterbliebenen. Seinen Dankesbrief haben wir natürlich aufgehoben.

Heute, Jahre später, nach einem phantastischen Abendessen, erscheint der Restaurantchef an unserem Tisch und erkundigt sich nach unserer Zufriedenheit mit der Qualität der Speisen. Wir loben das perfekte Menü in den höchsten Tönen, wobei wir erwähnen, daß uns genau diese Speisen auf einem anderen Schiff in ähnlicher Qualität schon einmal begeistert hatten. 

Der Restaurantchef ist völlig perplex, als wir den Namen des Schiffes nennen und auch von dem tragischen Zwischenfall erzählen, der uns die Reise etwas verleidet hatte. „Ich habe auf diesem Schiff genau an dem Tag in Bergen meinen Dienst als Maître angetreten, als die Polizei sich an Bord um Klärung des Tathergangs bemühte“, erklärte er sichtlich berührt und fuhr fort: „Der ältere der beiden Filipinos hatte seinen Schwiegersohn beim Fremdgehen erwischt und nicht lange gefackelt. Ein Messer beendete den Streit und das Leben des Jüngeren.“