Die Männer in den prächtigen, an die Renaissance erinnernden Uniformen, manchmal sogar mit glänzendem Harnisch und Straußenfeder am schimmernden Helm und stets mit Hellebarde, kennt nahezu jeder: die Schweizer Garde. Die wohl berühmteste und älteste dauerhaft bestehende Truppe schützt den Papst, bewacht den Vatikan. Das stimmt. Aber nicht ganz. Denn der mit 44 Hektar Fläche kleinste Staat der Welt verfügt über ein weiteres Sicherheitsorgan. Eine Truppe, die im Gegensatz zu den eidgenössischen Söldnern mit ihren in den Traditionsfarben des Hauses Medici, Blau, Rot und Gelb gehaltenen Uniformen nahezu unbekannt, aber nach Meinung vieler Experten viel relevanter ist: die päpstliche Gendarmerie, mit vollem Namen das „Corpo della Gendarmeria dello Stato della Città del Vaticano“.
Motto der Gendarmen: „Immer bereit“
Öffentliche Aufmerksamkeit erfährt diese Polizei des Vatikans fast nie. Ausnahmen sind spektakuläre Skandale, Verbrechen oder – wie aktuell – eine aufsehenerregende Personalie. Denn jüngst mußte der Chef der Gendarmerie seinen Posten räumen. Offiziell reichte Domenico Giani selbst seinen Rücktritt ein, den Papst Franziskus daraufhin annahm. Doch der Abschied des stattlichen Mannes mit dem markanten kahlen Schädel erfolgte nicht ganz freiwillig. Der „Schutzengel der Päpste“, wie der 57jährige genannt wurde, sah sich gezwungen, die politische Verantwortung dafür zu übernehmen, daß eine interne Dienstanweisung seiner Behörde an die Öffentlichkeit gelangt war. Darin ging es um Ermittlungen wegen dubioser Finanzgeschäfte sowie des Verdachts der Veruntreuung von Spendengeldern. In diesem Zusammenhang hatte die Gendarmerie Büros des Staatssekretariats sowie der vatikanischen Finanzaufsicht durchsucht. Das an die Medien dann durchgestochene Dokument mit der Unterschrift Gianis wies seine Beamten sowie die Schweizer Gardisten auf fünf verdächtige Mitarbeiter der Kurie hin, die im Zuge der Ermittlungen vorübergehend suspendiert und mit einem Hausverbot belegt worden waren.
Als der Papst von der Veröffentlichung dieses streng vertraulichen und brisanten Schreibens in der Presse erfuhr, soll er vor Wut geschäumt haben, berichteten Vatikan-Korrespondenten. Seinen Sprecher ließ Franziskus mitteilen, diese Indiskretion komme „einer Todsünde gleich“. In einer offiziellen Erklärung betonte der Vatikan, Gendarmerie-Kommandant Giani treffe „keine persönliche Verantwortung“ – seinen Hut mußte der promovierte Pädagoge dennoch nehmen. Die Veröffentlichung der Liste habe auch dem „Ruf der Gendarmerie“ geschadet, hieß es in der Erklärung zu seinem Rücktritt. Den Chefposten übernahm sein bisheriger Stellvertreter Gianluca Gauzzi Broccoletti.
Zwanzig Jahre lang, seit 1999, hatte der aus der Toskana stammende Giani in der vatikanischen Polizei gedient. Vor seiner Tätigkeit im Kirchenstaat machte Giani Karriere bei der italienischen Finanzpolizei und im Inlandsgeheimdienst Sisde. Als 2006 der seit 1971 an der Spitze der Gendarmen stehende Generalinspektor Camillo Cibin nach 58 Dienstjahren in den Ruhestand trat, folgte ihm Giani. Er machte aus der rund 150 Mann starken Einheit eine moderne und schlagkräftige Truppe. Ihre Aufgaben umfassen die einer Verkehrs-, einer Kriminal- sowie einer Grenzpolizei und eines Zolls. Schon zwei Jahre nach seinem Amtsantritt konnte Giani stolz die Aufnahme seines Gendarmeriekorps bei Interpol vermelden; die Generalversammlung in Sankt Petersburg hatte dem Ansinnen des Vatikanstaats einstimmig entsprochen. Beste Beziehungen werden der Einheit auch zum amerikanischen FBI nachgesagt. Als „Direktor der Sicherheitsdienste und des Zivilschutzes des Staates der Vatikanstadt“ stand der karrierebewußte Giani zugleich an der Spitze des Feuerwehrkorps.
Überraschen mag auch, daß die Gendarmerie des Kirchenstaates über zwei Spezialeinheiten verfügt. Maskiert mit Sturmhaube, geschützt von kugelsicherer Weste, Helm mit Visier und ausgestattet mit modernen Bushmaster-Gewehren sind die Männer der Gruppo Intervento Rapido (GIR), einer Art GSG 9 des Nachfolgers Petri. Sein Wappen – die dreifache Krone mit den gekreuzten Schlüsseln – tragen sie, unterlegt mit einem Schwert und dem lateinischen Motto „Semper parati“ (Immer bereit) auf ihren dunklen Kampfanzügen. Daneben existiert noch die auf die Entschärfung von Sprengstoffen spezialisierte „Unita Antisabotaggio“. Angesichts vielfältiger terroristischer Bedrohungen braucht auch der Pontifex solche Spezialkräfte.
Die alltägliche Herausforderung der päpstlichen Gendarmen sind allerdings die Ströme der Besucher. Millionen Touristen kommen jedes Jahr in die vatikanischen Museen und den Petersdom. Den Gendarmen steht in ihrer Kaserne am Sankt-Anna-Tor eine hochmoderne Einsatzzentrale mit Überwachungsmonitoren zur Verfügung. Schwächeanfälle von Besuchern, Taschendiebstähle, Selbstmordversuche oder politischer Aktivismus – auf alles müssen die Ordnungshüter vorbereitet sein.
Daß die Beamten quasi erst hinter den Hellebardieren der Garde an den Toren zum Vatikan in Erscheinung treten, bedeutet nicht, sie wären nachrangig. Es ist Ausdruck der Aufgabenverteilung: „Die Garde hat die Eingänge zur Vatikanstadt zu bewachen und den Schutz des Apostolischen Palastes und des Papstes zu gewährleisten. Unsere Leute tragen die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Öffentlichen Ordnung in der Vatikanstadt“, zitiert der Historiker Ulrich Nersinger, Autor der wohl umfangreichsten deutschsprachigen Geschichte der päpstlichen Gendarmerie, einen ihrer Offiziere.
Obwohl oberster Dienstherr beider Truppen natürlich der Papst ist, untersteht die Schweizer Garde dem Kardinalstaatssekretär, während die Gendarmerie als Teil der Direktion der Sicherheits- und Zivilschutzdienste dem „Governatorat“ der Vatikanstadt untersteht. Nach außen treten sie mittlerweile als „Sicurezza Vaticana“ auf. Gemeinsam sorgen sie auf Auslandsreisen des Papstes für seine Sicherheit, und unter den Leibwächtern in den schwarzen Anzügen, die neben dem weißen Papamobil herlaufen, sind auch Gendarmen. Schon manches kleine Kind wurde von Ex-Chef Giani zum Segnen an den heiligen Vater weitergereicht.
Mögen Journalisten manche Petitesse auch zum Machtkampf aufbauschen, eine gewisse Rivalität zwischen Schweizern und Gendarmen ist unbestreitbar. Bei den Reibereien spielen auch die Reformen des II. Vatikanischen Konzils eine Rolle. In deren Verlauf hatte Papst Paul VI. den – recht prunkvollen – Päpstlichen Hofstaat abgeschafft und in ein „Päpstliches Haus“ umgewandelt. Den Bereinigungen in Sachen Tradition zum Opfer fielen auch Teile des vatikanischen Militärs. Die nur mit Adligen besetzte Nobelgarde wurde ebenso aufgelöst wie die Palatingarde, eine Art Miliz. Nur die Schweizer Garde blieb als einziges Korps unangetastet. Zudem wurde 1971 die bis dato paramilitärische Gendarmerie zu einer zivilen Polizeieinheit unter der Bezeichnung „Ufficio Centrale di Vigilanza“ (zu deutsch: zentrales Wachbüro). Dies empfanden viele Gendarmen als Herabsetzung. Auch finanziell sahen sie sich den Schweizer Söldnern gegenüber benachteiligt. Die Unzufriedenheit führte bis zu Streikdrohungen. Es nützte nichts. Die Schlüssel des Palastes mußte die Gendarmerie abgeben. Nicht ohne Genugtuung vermerkte eine Chronik der Schweizer Garde, die Bewachung des Heiligen Vaters sei nunmehr allein ihre Sache.
Doch dieser – vermeintliche – Triumph liegt lange zurück. Mittlerweile gab es sogar schon umgekehrte Wahrnehmungen. So beklagte sich vor etwa zehn Jahren der frühere Garde-Oberst Elmar Mäder einmal, die Schweizer würden „stiefmütterlich“ behandelt, das Gendarmerie-Korps „in wachsendem Maße bevorzugt“. Die Garde müsse auf der Hut sein, um nicht von den Gendarmen „in den Hintergrund“ gedrängt zu werden. Im Jahr 2002 hatte man sich im Vatikan dann doch besonnen, daß eine Polizei auch nach außen als etwas anderes denn eine Wach- und Schließgesellschaft erscheinen sollte. Und so erhielten die Gendarmen ihre alte Bezeichnung wieder. Auch äußerlich kehrte man zu den Traditionen zurück. Seit 2008, als per Dienstreglement eine neue Uniform eingeführt wurde, tragen die Gendarmen statt einer Schirmmütze ein blaues Képi mit schwarzen Bordüren und dem päpstlichen Emblem.
Auch als Kriminalpolizei müssen die Gendarmen ermitteln. Wie im aktuellen Fall wegen möglicher finanzieller Unregelmäßigkeiten. Oder 2012, als sie in der „Vatileaks“-Affäre den Kammerdiener des Papstes verhaften mußten. 1998 mußten die Gendarmen sogar bei der „Konkurrenz“ einen Mordfall aufklären: Ein geistig verwirrter Vizekorporal der Schweizer Garde hatte den frisch zum Kommandanten beförderten Oberstleutnant Alois Ostermann sowie dessen Frau und anschließend sich selbst erschossen. Angesichts der Gewalttat schossen in einigen italienischen Medien wilde Verschwörungstheorien ins Kraut, die das Verhältnis von Garde und Gendarmen nicht gerade besserten. Inzwischen wird von den Verantwortlichen beider Seiten stets die Bedeutung von Kooperation betont.
Ihr neuer Chef Broccoletti, ein studierter Ingenieur, gehört der vatikanischen Gendarmerie seit 1995 an und gilt dort als Technikexperte. Laut Vatikanangaben hatte er zum Beispiel die Sicherheitskonzepte der Papstwahlen 2005 und 2013 ausgearbeitet. Dort setzten die Ordnungshüter unter anderem sogenannte Jammer ein, um zu verhindern, daß per Mobiltelefon Informationen aus dem oder in das Konklave dringen konnten. Der Papst hat unterdessen den zurückgetretenen Kommandanten noch einmal seiner Wertschätzung versichert. „Nach der Nachmittagssitzung der Amazonien-Synode verbrachte Franziskus lange Zeit mit Giani sowie dessen Frau und Tochter im Domizil der Familie im Vatikan“, teilten die offiziellen Vatican-News mit.
Beobachter vermuten, das könnte auch aus nicht ganz uneigennützigen Motiven geschehen sein. Giani gilt als einer der bestinformierten Männer im Kirchenstaat. Das machte ihn nicht bei allen hohen Würdenträgern beliebt, zumal er im Umgang auch mal ruppig auftreten konnte. Wer (fast) alle Geheimnisse kennt, hat Macht und kann anderen gefährlich werden. Selbst wenn er nicht mehr im Amt ist.
Gendarmerie: Mehr als Polizei
Gendarmerie ist abgeleitet von gens d’armes (Leute unter Waffen). Ursprünglich eine (königliche) Leibgarde, bezeichnete der Begriff eine paramilitärische Polizeitruppe. Meist dienen Gendarmen als Ordnungshüter in ländlichen Regionen, aber auch als Grenzschützer, Militär- sowie Bereitschaftspolizisten. Mehrere europäische Staaten haben solche Einheiten, die meist als eigenständige Teilstreitkraft dem Verteidigungsministerium unterstehen, in Friedenszeiten jedoch in der Dienstausübung dem Innenministerium unterstellt sind, etwa die französische Gendarmerie nationale, die Carabinieri (Italien), Guardia Civil (Spanien) oder die Koninklijke Marechaussee (Niederlande). Abzeichen ist in der Regel eine Granate mit Flamme. Die päpstliche Gendarmerie geht zurück auf das 1816 gebildete Corpo dei Carabinieri Pontifici, die Mitte des 19. Jahrhunderts in Gendarmen umbenannt wurden. Ihre Aufgabe lag zu Beginn unter anderm in der Bekämpfung von Räuberbanden, aber auch kirchenfeindlichen Revolutionären. Ab 1970 begann die Demilitarisierung der päpstlichen Gendarmerie.
Ulrich Nersinger: Die Gendarmen des Papstes. Verlag nova & vetera, Bonn 2013, gebunden, 333 Seiten, 35 Euro