Neun Zehntel unseres Glückes beruhen allein auf der Gesundheit“, notierte der Philosoph Arthur Schopenhauer in seiner Sammlung von Gedanken im Alter, die Franco Volpi und Ernst Ziegler vor etlichen Jahren unter dem Titel „Senilia“ herausgegeben haben. Pankraz hat das Buch seinerzeit mit großer Zustimmung gelesen und sich daran erinnert gefühlt, daß es in der Kunst des Altwerdens vor allem darauf ankommt, mit Krankheiten umzugehen, sie „mental soweit wie möglich in Schach zu halten“, sie jedenfalls keine das Leben bestimmende Übermacht gewinnen zu lassen.
Als er nun kürzlich wieder bei seiner ihm liebgewordenen Stammtisch-Runde weilte, verspürte Pankraz plötzlich heftige Brustschmerzen. Rührend kümmerten sich die Freunde und Kollegen um ihn, verständigten einen Rettungswagen und ließen ihn ins Krankenhaus bringen.
Inzwischen geht es ihm den Umständen entsprechend zwar wieder einigermaßen, auf seinen Schreibposten ist Pankraz allerdings noch nicht wieder zurückgekehrt. Er bedauert das um so mehr, als er seine kleine Kolumne jetzt bereits seit bald 45 Jahren verfaßt, seit dem Sommer 1975. Damals erschien sie jeweils montags in der Tageszeitung Die Welt, dann für eine kurze Zwischenphase Anfang der neunziger Jahre im Rheinischen Merkur und seit Januar 1995 hier in der JUNGEN FREIHEIT, und das Woche für Woche, komme, was da wolle. Nichts und niemand konnte ihn je davon abhalten, seine Texte an die Redaktion zu übermitteln. Selbst wenn er in fernsten Gefilden unterwegs war, ob in Asien oder Südamerika, stets fand er Mittel und Wege, seine Kolumne zu schreiben.
Daß er aktuell und bis auf weiteres damit pausieren muß, betrübt ihn wie gesagt sehr. Noch immer trachtet Pankraz danach, so hat er es früher einmal formuliert, Tendenzen aufzustöbern, anschaulich zu machen und auf den Begriff zu bringen. Daß er sich dafür einst einen Schreibnamen gewählt hat – in Anlehnung an die erste Erzählung aus Gottfried Kellers Novellenzyklus „Die Leute von Seldwyla“, in der Pankraz der Schmoller, von „unvertilgbarem Groll und Weh“ erfüllt, zu guter Letzt seine Schmollerei überwindet –, hat auch mit Pankraz’ Faible für literarische Verrätselungen zu tun.
In dieser Vorliebe einig weiß er sich mit einem seiner Lieblingsphilosophen, Søren Kierkegaard (1813–1855), über den Pankraz oft geschrieben hat. Der Kopenhagener Wegbereiter des Existentialismus brachte es in dem Spiel mit Pseudonymen zu wahrer Meisterschaft. Sie waren ihm nom de plume und nom de guerre, Schreib- und Kampfnamen. Die meisten seiner Schriften veröffentlichte er unter wechselnden Autorenzeilen. Kierkegaard machte sich einen regelrechten Spaß daraus; selbst in seinen privaten Tagebüchern ließ er verschiedene Pseudonymisten mit- und gegeneinander agieren, konnte er so doch unterschiedliche Standpunkte ohne direkten Bezug zur eigenen Person deutlicher markieren.
Pankraz hat bei seinen Lektüren immer Gefallen daran gefunden, denn bei aller Ernsthaftigkeit in der Sache liegt ihm ebenso das Spielerische. Der geneigte Leser seiner Kolumnen hat deswegen sicher auch längst erkannt, daß diese hier nicht von ihm stammt. Niemals würde Pankraz in dieser Art und Weise über Günter Zehm Auskunft geben. Er verabscheut Zeitgenossen, die sich selbst überaus wichtig nehmen und ständig in den Vordergrund spielen müssen; Bescheidenheit ist für ihn alles andere als eine Sekundärtugend.
In seinem vor zehn Jahren erschienenen Buch „Gesunder Menschenverstand. Über Glücklichsein, Spaßhaben und Standhalten“, hervorgegangen aus seiner in den neunziger Jahren gehaltenen Vorlesungsreihe an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, kommt Pankraz auch auf die Lebensphilosophie Schopenhauers und dessen Einsichten zur Körperlichkeit – „Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts“ – zu sprechen. Denn nach Schopenhauer sei es „die größte aller Torheiten, seine Gesundheit aufzuopfern, für was es auch sei (…); vielmehr soll man ihr alles nachsetzen“.
An diesen weisen Ratschlag muß sich Pankraz jetzt zu seinem Leidwesen auch halten und mit seiner Kolumne eine Zwangsauszeit nehmen. (tha)