© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/19 / 01. November 2019

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Die Arte-Dokumentation über die letzten Wochen im Leben Marie Antoinettes, der französischen Königin, die so unbekümmert und flatterhaft gelebt und so würdig und tapfer gestorben ist, erinnerte mich an die Fernsehserie „Der Ritter der Königin“, die ich als Kind gesehen habe. Sie beruhte auf einer Vorlage von Alexandre Dumas – Le Chevalier de Maison Rouge – und erzählte die Geschichte von einem letzten Versuch der Royalisten, Marie Antoinette aus der Haft zu befreien. Ich vermute, daß die Filme zu meiner politischen Prägung so entscheidend beigetragen haben wie Dumas’ „Die drei Musketiere“, Walter Scotts „Ivanhoe“ und „Quentin Durward“ sowie Hendrik Conscience’ „Der Löwe von Flandern“.

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Vorzeichen: Nach dem Anschlag, den ein Pariser Polizeiangestellter am 5. Oktober auf seine Kollegen verübt hat, wurden zwei muslimische Polizisten vorsorglich entwaffnet, bei denen die Vorgesetzten Anzeichen einer Radikalisierung wahrgenommen haben.

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Die Debatte um den Stand der Meinungsfreiheit in Deutschland hat eigentlich erst Tempo gewonnen, seitdem auch Vertreter der Etablierten von Restriktionen betroffen sind. Thomas de Maizière und Christian Lindner fühlen sich durch gewaltsame Aktionen oder Blockaden und die Feigheit der „Zivilgesellschaft“ deshalb so getroffen, weil sie bisher dachten, daß sie als Teil der Regenbogenkoalition mit derlei nicht rechnen müßten.

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Es war nicht alles besser: Im Frühjahr 1973 gründeten Offiziere, die an der Fachhochschule des Heeres Darmstadt studierten, mit den Jusos der benachbarten Universität einen Arbeitskreis, zu dessen zentralen Forderungen die Bildung von Soldatenräten in der Bundeswehr gehörte. Deren Zweck sollte es sein, die „Fremdbestimmung“ der Soldaten aufzuheben. Auch im Hinblick auf den Verteidigungsauftrag hatte man Vorbehalte: Schließlich sei die Freiheit des Unternehmers etwas ganz anderes als die Freiheit der „lohnabhängigen Schichten“, der im Zweifel der Einsatz zu gelten habe.

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Yvette Tabu, Generalkommissarin für Kultur und Künste in Kinshasa (Demokratische Republik Kongo), hat in einem Interview erklärt, daß ihr Land keine Restitution von Objekten wünsche, die in der Kolonialzeit nach Europa verbracht wurden. Sie begründete das damit, daß das ihr unterstehende Museum etwa 12.000 Stücke zeige und weitere 50.000 in den Magazinen lagerten. Man habe weder weitere Ausstellungsmöglichkeiten noch die Voraussetzungen zur Konservierung, die in Europa selbstverständlich gegeben seien.

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Gewalt I: Nach einer neuen Statistik starben 2017 weltweit 464.000 Menschen als Folge eines Mordes, 89.000 während eines Krieges und 26.000 durch einen terroristischen Anschlag.

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Konservatismus, Grundkurs: „Am Guten Alten / In Treuen halten, / Am kräft’gen Neuen / Sich stärken und freuen, / Wird niemand gereuen.“ (Emanuel Geibel)

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Der freiwillige humanitäre Einsatz junger Menschen in einem Land der Dritten Welt – bevorzugt Afrikas oder Asiens – gehört immer zu jener Sorte „Engagement“, das heute gerne gesehen wird. Die französische Politikwissenschaftlerin Alizée Delpierre hat allerdings darauf hingewiesen, daß es sich um ein Phänomen handelt, das weniger mit Moral als mit spezifischen Klasseninteressen zu tun hat. Man erkennt das schon daran, daß Kosten zwischen 1.800 und 3.000 Euro pro Monat entstehen, zuzüglich Transport, die an die Anbieter zu entrichten sind, die den individuellen Einsatz organisieren. Dessen Bedeutung für die Menschen, denen vor Ort geholfen werden soll, sei indes nur gering. Sie profitierten im Regelfall nicht. Was selbstverständlich auch die Freiwilligen spürten, die regelmäßig über die Sinnlosigkeit ihrer Tätigkeit, das Unverständnis der Einheimischen und fehlende Vorbereitung klagten. Angesichts dessen vermutet Madame Delpierre, daß die Fortsetzung dieser Art von Entwicklungshilfe vor allem damit zu tun hat, daß sich ein entsprechender Hinweis im Lebenslauf bei der Bewerbung für eine elitäre Bildungseinrichtung oder international tätige Unternehmen gut mache.

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Gewalt II: Die Amokläufer, deren Taten in den USA immer wieder zahlreiche Opfer fordern, sind – wenig überraschend – zu 96,5 Prozent Männer. Der Eindruck, daß es sich überproportional um Weiße handelt, trügt allerdings. Sie stellten zwar zwischen 1982 und 2019 immerhin 55 Prozent der Täter, das aber bei einem Bevölkerungsanteil, der bei 63,7 Prozent liegt. Demgegenüber sind 17 Prozent der Täter Schwarze, bei einem Bevölkerungsanteil von nur 13,4 Prozent. Es konnte übrigens bis dato kein Zusammenhang zwischen Amokläufen und sogenannten „Killerspielen“ hergestellt werden. 


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 1. November in der JF-Ausgabe 45/19.