Seine Predigten sorgen für Unruhe. Er benutzt die Sprache des Volkes. Er ist ein Fegefeuer-Leugner. Den Ablaßhandel hält er für ein Werk der Korruption, das Zölibat für untragbar. Seine Schrift „Von Erkiesen und Freiheit der Speisen“ (1522) ist eine Provokation. Als man ihn zu einer Disputation lädt, fordert er die elitistische Kirche mit der Aufforderung heraus: „Meßt meine Worte an der Heiligen Schrift – und nur an der Heiligen Schrift. Sola scriptura. Wenn ihr etwas findet, was nicht mit der Bibel in Einklang steht, nehme ich es mit Demut zurück.“
An dem „Luther“-Film mit Joseph Fiennes orientiert
Nicht von Martin Luther ist hier die Rede, sondern von seinem Schweizer Bruder im Geiste Ulrich Zwingli (1484–1531), dem Mann, der dank der Arbeit eines von ihm initiierten Übersetzerkollektivs noch vor dem Wittenberger die erste vollständig in die deutsche Sprache übertragene Bibel (die Zürcher Bibel) vorlegte und vor 500 Jahren sein Priesteramt am Großmünster in Zürich antrat. Mit der Ankunft in der Schweizer Metropole setzt auch die Handlung des Films des Schweizer Regisseurs Stefan Haupt ein, der das Leben und Wirken des neben Luther bedeutendsten deutschsprachigen Reformators nachzeichnet. Am Reformationstag startet er in den deutschen Kinos.
„Fang mir nicht an, hier herumzufuhrwerken wie der Luther“, warnt den jungen Theologen schon nach den ersten öffentlichen Auftritten der Generalvikar Johann Faber (Oscar Bingisser), verlängerter Arm des Bischofs von Konstanz und Repräsentant jener dekadenten Kirche, der spätestens seit dem Thesenanschlag zu Wittenberg zwei Jahre zuvor die Felle davonzuschwimmen drohen.
Es ist das Zeitalter der neuen Medien, der Flug- und Streitschriften, durch die sich Gegenpositionen zur herrschenden Orthodoxie in Windeseile unter dem ganzen Volk verbreiten. Ein Demokratisierungsprozeß, eine Erhebung von unten, hat eingesetzt. Im Film findet er seinen vorläufigen Höhepunkt in der Disputation zwischen Zwingli und dem Generalvikar. Sie endet mit einem Skandalurteil: „Meister Zwingli ist in keinem einzigen Punkt widerlegt worden“, befindet der große Rat von Zürich und spielt damit eine ähnliche Rolle wie Friedrich der Weise im Konflikt zwischen Luther und der Kurie.
Parallel zur Auseinandersetzung mit der Kirche verläuft Zwinglis Romanze mit der Kriegerwitwe Anna Reinhart. Sie vertritt den Typ starke Frau, ohne die das zeitgenössische Kino keine Heldenepen mehr zu inszenieren wagt. Die „wilde Ehe“ der beiden greift der Film als Vorentwurf dessen, was heute gang und gäbe ist, dankbar auf. Dabei hätte Zwingli gern früher geheiratet; es war ihm als katholischem Geistlichen nur nicht gestattet. Als der Ketzerei-Vorwurf vom Tisch ist und der Kirchenrebell Anna, in bewußter Auflehnung gegen das Zölibatsgebot, endlich doch zum Traualtar zu führen wagt, endet der primäre Spannungsbogen des Films.
Fortan hat er ein Problem: Der Versuch, in der Aneinanderreihung der vielen weiteren Konflikte im Leben des Reformators neue Spannung aufzubauen, schlägt fehl. Neue Intrigen der Papisten gegen Zwingli, der Streit mit den Bilderstürmern, die Sezession der radikalen Täufer, einer protestantischen Splittergruppe, die Hinrichtung ihres Anführers Felix Manz auf Geheiß des Rates, der Dissens mit Luther, der als Kappeler Krieg bekannt gewordene Freiheitskampf der reformierten Eidgenossen gegen die Truppen der katholischen Kantone Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug und Luzern, der in Zwinglis grausamem Märtyrertod gipfelt: wie vor einer Gemäldeserie steht der Zuschauer und nimmt Einblick in Zwinglis wichtigste Lebensstationen.
Druck auf Querdenker nimmt wieder zu
Max Simonischek zeigt den von ihm verkörperten Dissidenten jedesmal in einer anderen Rolle, ohne erkennen zu lassen, was ihn im Innersten zu seinen mutigen Taten anspornte. War es soziale Betroffenheit, Mitleid mit den Ärmsten, Empörung gegen den Machtmißbrauch einer geldgierigen Priesterkaste oder einfach nur Liebe zum geschriebenen Wort, dem „Sola scriptura“ Luthers?
Nicht nur thematisch, auch ästhetisch und dramaturgisch orientiert sich „Zwingli“ an dem international erfolgreichen „Luther“-Film von Eric Till (2003), allerdings mit erkennbar kleinerem Budget. Eine Parallele ist auch, daß Joseph Fiennes mit dem historischen Luther äußerlich genausowenig Ähnlichkeit hat wie Max Simonischek mit dessen Zürcher Pendant. Herausgekommen ist eine visuell ansprechende Geschichtsstunde – in Anbetracht der Spieldauer von über zwei Stunden sogar eine Doppelstunde –, aber kein großes Lebensdrama, in dem alles unaufhaltsam auf die finale Katastrophe zuläuft. Dafür hätte das Drehbuch eine Vision entwickeln müssen von dem, was es zeigen will: Zwingli, den großen Bibelübersetzer, Zwingli, den Sozialreformer, Zwingli, den Sinnlichen, oder Zwingli: vom Pazifisten zum kriegerischen Revolutionär. Der Film zeigt all das und doch alles nur in groben Skizzen.
Wie dasjenige Luthers bleibt Ulrich Zwinglis beharrliches Festhalten an dem für wahr Erkannten ein eindringliches Zeugnis für die Welt. Seine Bereitschaft, lieber das eigene Leben hinzuopfern als die Wahrheit, bekommt Vorbildcharakter in Zeiten wie diesen, in denen säkulare Dogmen immer öfter gegen Tradition und Religion in Stellung gebracht werden und der Assimilationsdruck auf Querdenker und Orthodoxiekritiker zunimmt. „Spalter der Gesellschaft“ nannte man sie schon vor 500 Jahren. „Christsein heißt nicht von Christus schwatzen, sondern ein Leben führen, wie es Christus geführt hat“, läßt das Drehbuch den „Alpenluther“ in einer Predigt mahnen. Es klingt wie ein Bußruf an die Kirche von heute, die das Schriftverständnis der Reformatoren verraten hat und aus Machtkalkül dem Relativismus huldigt. So kann sie Menschen mehr gehorchen als Gott und eckt nicht an.
Kinostart am 31. Oktober