Die beste Szene des Films kündigt sich an, als die Kamera sich eine Auszeit von dem Schlagabtausch in den Räumlichkeiten von Rocco (Wotan Wilke Möhring) und Eva (Jessica Schwarz) nimmt, um einen Blick auf den Balkon des Nachbarhauses zu riskieren. Den hat soeben ein altes Ehepaar betreten, dessen Liebe offensichtlich nicht rosten will. Damit bildet sie den perfekten Kontrapunkt zu den gestörten und mit Sollbruchstellen übersäten Partnerschaften von Rocco und seinen Brüdern im Geiste Simon (Frederick Lau) und Leo (Elyas M’Barek), die sich, ihre Partnerinnen Bianca (Jella Haase) und Carlotta (Karoline Herfurth) im Schlepptau, zum Abendessen in der piekfeinen Wohnung von Rocco und Eva eingefunden haben. Später gesellt sich noch Pepe (Florian David Fitz) dazu – ohne bessere Hälfte.
Vielleicht hätten alle auf Bianca hören sollen, die ihren Freund Simon schon unterwegs im Auto bat: „Kannst du nicht mal dein Handy weglegen, Baby?“ Es erweist sich jedoch schnell, daß die mobilen Fernsprechgeräte für viele Menschen heutzutage unverzichtbarer sind als eine funktionierende Beziehung. Und genau diesen Umstand nimmt der Ensemble-Film zum Ausgangspunkt für einen turbulenten Wettstreit der Worte.
Distanzloses Reden über alles, was mit Sex zu tun hat
Der nimmt auf gleich vier Kampfbahnen seinen Lauf, als Eva, von Beruf Psychotherapeutin, sich mit ihrem Vorschlag „Spielen wir ein Spiel“ durchsetzen kann: Alle Anrufe und Nachrichten, die im Verlauf des Abends eingehen, müssen öffentlich sein: von allen mitgehört, von allen mitgelesen. Daß man „aufpassen muß mit den Dingern“, wie Eva zuvor gewarnt hat, wird bald jedem schmerzlich bewußt sein. Denn: „Sie sind wie Flugschreiber unseres Lebens.“ Zeigen wird sich auch, daß in einer Gesellschaft, die die sequentielle Polygamie zur Norm oder sogar zum Lebensideal erhoben hat, Sicherheiten verlorengegangen sind, die früher selbstverständlich waren. Jedenfalls bezieht der Film einen Großteil seines Witzes aus dem permanent lauernden Verdacht eines jeden der sieben Protagonisten, daß sein Partner zur Treue unfähiger ist als zur Untreue. Das macht die Neuverfilmung der italienischen Komödie „Perfetti sconosciuti“ (2016) zu einem sehr treffenden Porträt der Generation der zwischen 1980 und 1990 Geborenen, in der die Ehe ohne Trauschein ihr Stigma verloren und die Emanzipationsbewegung ihre wichtigsten Ziele erreicht hatte. Carlotta muß sich deshalb fast als Verräterin fühlen, wenn sie bekennt: „Ich hab’ Bock, ein Muttertier zu sein!“
So subversiv gibt sich die Zeitgeist-Komödie jedoch nur selten. Denn sich zu den porträtierten Lebensstilen und Normen anders als affirmativ zu verhalten würde einen Konflikt mit dem Publikumsgeschmack bedeuten. Wenn Vierzehnjährige wie die Tochter von Rocco und Eva vom Papa Kondome zugesteckt bekommen, ist das ja schließlich lustig, oder? Und so ist „Das perfekte Geheimnis“ Problembeschreibung und Problem zugleich. Das zeigt sich besonders im distanzlosen Reden über alles, was mit Sex zu tun hat. Wo das Geheimnis der intimen Begegnung zwischen Mann und Frau zum profanen Gesprächsstoff wie das Wetter wird, ist seine Entweihung unvermeidlich. Gesunde Beziehungen sind aber ohne einen geheiligten Bezirk, der nicht zur Disposition steht, kaum möglich.
„Das perfekte Geheimnis“ spielt zwar durch, was passiert, wenn Privatestes an die Öffentlichkeit gezerrt wird, aber die Abstumpfungserscheinungen, die das zur Folge hat, problematisiert er nicht. Auch das Öffentlichwerden der Homosexualität eines der Gäste – fast schon Pflichtprogramm im deutschen Film – wird vor allem als Befreiung inszeniert.
Als satirischer Kommentar zum Digitalzeitalter bleibt „Das perfekte Geheimnis“ somit halbherzig. In Anbetracht der spritzigen Art, wie das Ensemble – Elyas M’Barek, Karoline Herfurth und Jella Haase sind seit ihrer Zusammenarbeit in den erfolgreichen „Fack ju Göhte“-Filmen, ebenfalls unter der Regie von Bora Dagtekin, ein eingespieltes Trio – Gegenwartsbefindlichkeiten in Unterhaltungsstoff umwandelt, und der hochkarätigen Besetzung kann man sich aber sicher sein, daß das komödiantische Kammerspiel wie vor einem Jahr sein Genre-Vorgänger „Der Vorname“ für volle Kinosäle sorgen wird. Die Alten vom Balkon haben’s auch nicht anders verdient.
Kinostart am 31. Oktober