Mit seinem Roman „De la Terre à la Lune“ erwies sich Jules Verne 1865 als Prophet: 104 Jahre später starteten wirklich Amerikaner von Florida aus zum Mond. Auch die Schwerelosigkeit im Weltraum oder die Landung im Pazifik, die der französische Science-fiction-Autor 1870 im zweiten Teil („Autour de la Lune“) schildert, wurden von Apollo 11 bestätigt. Der vom Industrieverband BDI geforderte und von Peter Altmaier eilig aufgegriffene deutsche Weltraumbahnhof dürfte dagegen Wunschdenken bleiben.
Kein deutscher Weltraumbahnhof in Sicht
„Eine solche Anlage würde in Deutschland niemals zugelassen, weil das Land dafür viel zu dicht besiedelt ist“, sagte Ulrich Walter, Raumfahrt-Professor an der TU München, dem Spiegel. Das Kennedy Space Center liegt an Floridas und das französische Raumfahrtzentrum CSG an Guayanas Atlantikküste. Der russische Weltraumbahnhof Baikonur befindet sich in Südkasachstan, denn bei einem Unfall könnten Trümmerteile große Schäden anrichten, warnte Walter, der 1993 mit der 2003 abgestürzten US-Raumfähre „Columbia“ elf Tage im All war.
„Raketen und Starts kann man sich heute weltweit auf dem freien Markt kaufen“, so der Träger der Wernher-von-Braun-Medaille. Gefragt seien Erdbeobachtungdaten etwa für die Landwirtschaft. Satellitennetzwerke könnten die Erde lückenlos mit Breitbandinternet versorgen. „Das ist ein sehr lukrativer Markt, genau wie die Entwicklung eigener, kleinerer Raketen“, meinte Walter. „Von wo die Raketen dann in den Weltraum starten, ist vollkommen egal.“
Die Forderung der „Berliner Weltraumerklärung“ des BDI, das „nationale Programm für Raumfahrt und Innovation von nur 285 Millionen Euro auf das Niveau des französischen Weltraumbudgets von mehr als 700 Millionen Euro zu erhöhen“ ist überfällig. Auch „Deutschland als führenden Partner der USA bei der Rückkehr zum Mond zu positionieren“ oder „Forschungsvorhaben für die Nutzung von Weltraumressourcen zu fördern“ wären Aufgaben für Altmaier, findet doch „ein neues Wettrennen zum Mond“ statt (Bild der Wissenschaft, 9/19). Wobei den Pionieren USA und Rußland durch Indien, China, Japan und der EU Konkurrenz erwächst.
Israel scheiterte zwar im April mit seiner Beresheet-Sonde (JF 17/19), plant aber eine Nachfolgemission. Mexiko und Südkorea wollen mit US-Hilfe folgen, schreibt der Wissenschaftsjournalist Rüdiger Vaas. In Seoul glaube man, es 2025 sogar mit einer eigenen KSLV-II-Rakete, statt wie für 2020 geplant mit einer SpaceX-Falcon 9, zum Mond zu schaffen. Die USA wollen 2024 wieder Astronauten dorthin schicken, Moskau und Peking haben die 2030er Jahre im Visier. Das Debakel vom 6. September, als zu der 130 Millionen Euro teuren indischen Chandrayaan-2-Sonde der Funkkontakt abriß und die Mission fehlschlug, schrecken weder die alten noch die neuen Raumfahrtnationen ab.
Die nach der Mondgöttin Chang’e benannten chinesischen Sonden erkunden seit 2007 die lunare Umgebung. Anfang Januar glückte es, mit Chang’e 4 erstmals eine Sonde auf der Rückseite des Mondes, im 180 Kilometer großen Krater Kármán, zu plazieren. Ziel ist die Untersuchung von Geländeformen und Mineralien, die Durchführung radioastronomischer Beobachtungen sowie die Messung von Neutronenstrahlung und neutralen Atomen. Eine Premiere stellt die Analyse von Gestein aus dem Mondinneren dar. Diese Forschungen sollen Chang’e 5 und Chang’e 6 fortsetzen, wenn sie Mondgestein aus bis zu zwei Meter Tiefe holen, um die Geologie des Erdtrabanten weiter aufzuklären.
Schon das von Neil Armstrong und Edwin Aldrin gesammelte Gestein, das Apollo 11 1969 zur Erde brachte, verriet viel über die Entstehung und das Alter des Mondes. Spätere Missionen erweiterten das experimentelle Spektrum etwa um „Messungen der dünnen Mondatmosphäre, der lunaren Ionosphäre, des Magnetfelds, des Wärmeflusses im Mondboden und der Gravitationsbeschleunigung an verschiedenen Orten in der Nähe der jeweiligen Landestelle“, wie Sibylle Anderl die wichtigsten Erkenntnisziele in der FAZ resümierte.
Auch im All entscheidet das Recht des Stärkeren
Heute, so zitiert Vaas die ehemalige Nasa-Vizechefin Lori Beth Garver, gehe es primär nicht mehr um Forschung, sondern um „Gier“: Das gelte für Treibstoffe (besonders Sauerstoff) und Wassereis, Baumaterialen, Metalle (Aluminium, Eisen, Titan, Silizium), Edelmetalle (Gold, Platin) zur Nutzung an Ort und Stelle sowie für deren Transport zur Erde. Eine Ende 2018 im Auftrag Luxemburgs erstellte Studie veranschlagt den Wert der Weltraumrohstoffe, der bis 2045 zu erzielen wäre, auf 70 bis 170 Milliarden Euro.
Die erste Mond-Konferenz der europäischen Raumfahrtagentur ESA, im Juli 2018 mit 250 Teilnehmern aus den Gebieten Bergbau, Metallurgie, Ingenieurwissenschaften und Architektur, habe daher deutlich signalisiert, daß die Begehrlichkeiten parallel zur Nachfrage nach Informationen „gewaltig gestiegen“ seien. Europa befinde sich in diesem Rennen nur unter den Schlußläufern – zum Leidwesen des BDI. Es bleibe auf „Mitfahrgelegenheiten“ bei Amerikanern oder Chinesen angewiesen und spiele, so Vaas, wenigstens mittelfristig lediglich eine Nebenrolle.
Nach dem Vorbild der USA, wo die Obama-Regierung 2015 ein einschlägiges Gesetz verabschiedete, erteilt Luxemburg seit 2017 Lizenzen für Bergbauunternehmen, die Mondgestein abbauen wollen. Doch beide Länder hätten, wie Stephan Hobe, Direktor des Instituts für Luft- und Weltraumrecht der Uni Bonn, entrüstet ausführt, nicht die geringste Rechtssetzungsgewalt, um sich bei der kommerziellen Nutzung des Mondes vordere Plätze zu reservieren.
Weltraum und Himmelskörper seien Staatengemeinschaftsräume, in die nicht durch unilaterale Rechtsetzungsakte eingegriffen werden dürfe (Vereinte Nationen, 4/19). Trotzdem zeigten diese Interventionen, wie fest die von Garver identifizierte „Gier“ die Jäger nach extraterrestrischen Rohstoffen bereits im Griff hält. Und die üblichen irdischen Konflikte erahnen läßt, denn, wie Hobe warnt, der Weltraumvertrag von 1967 und der Mondvertrag von 1979 böten keine praktikablen Regelungen für ein Ressourcennutzungsregime, so daß das Recht des Stärkeren entscheide.
Ob die Ausbeutung der Schätze des lunaren „Außenpostens der Menschheit“ sich zum kosmopolitischen Friedensprojekt entwickelt, wie es Vaas an anderer Stelle skizziert (Universitas, 9/19), ist zu bezweifeln. Zumal die extrem menschenfeindlichen Bedingungen auf dem als „achten Kontinent der Erde“ ins Auge gefaßten Planeten seine „Siedler“ in eine hochtechnologisch drapierte Steinzeit zurückkatapultieren, da sie das Fehlen eines Magnetfeldes energiereicher Strahlung aussetze, vor der nur ein Leben in unterirdischen Höhlen schütze.
Eine solche Schrumpfexistenz ist aber kaum jemals so „spannend“, wie Vaas sie ausmalt. Zumal „Mondgolf und andere Sportarten unter reduzierter Schwerkraft“ mitsamt „lunarer olympischer Spiele“ nur den alten desorientierten Adam wieder zum Vorschein bringen, der auch fern seiner Heimat nichts Besseres mit sich anzufangen weiß, als aus Langeweile zu zappeln und zu hüpfen.
BDI-Papier „Zukunftsmarkt Weltraum“: bdi.eu/