© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/19 / 08. November 2019

Aufgeschnappt
Radetzky verspielt
Matthias Bäkermann

Wußten Sie schon, daß Sie der NS-Ideologie huldigen? Zumindest, wenn Sie am 1. Januar um die Mittagszeit – zusammen mit 50 Millionen anderen Zuschauern weltweit – den Klängen aus dem Saal des Wiener Musikvereins lauschen. Denn das traditionelle Neujahrskonzert dort schließt selten ohne den Radetzky-Marsch von Johann Strauss Vater ab. 

Wie Elias Kowalski, Dirigent des Musikvereins Kirchentellinsfurt, vergangene Woche im Schwarzwälder Boten erklärte, sei die übliche Version des Radetzky-Marsches nichts anderes als ein „nationalsozialistischer Verehrungsmarsch“. Schuld daran sei die Bearbeitung des Musikers Leopold Weninger aus den dreißiger Jahren. Das Mitglied der NSDAP habe den „verspielten, fröhlichen Marsch“ zu einem „militaristischen Verehrungsmarsch für die NS-Ideologie“ umgeschrieben, weiß der 23jährige. Auch wenn Unterschiede zur Urfassung opus 228 für Laien kaum wahrnehmbar seien, hätten „die feinen Differenzen aber eine große Wirkung“. Allerdings sei der politisch-ethische Aspekt entscheidend, gibt der schwäbische Nachwuchsdirigent zu: „Die NS-Version zu spielen bedeutet, geschichtsvergessen zu handeln.“ Indem die Weninger-Fassung künftig tabuisiert werde, könne man „einem Rechtsruck der Gesellschaft entgegenwirken“.