© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/19 / 08. November 2019

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Ungewählt nicht abzuwählen
Paul Rosen

Er habe den Eindruck, sagte der Bundestagsabgeordnete, „daß die Juden sich schnell zu Wort melden, wenn irgendwo in deutschen Kassen Geld klimpert“. Mit dieser, antisemitische Klischees bedienenden Aussage wies Hermann Fellner (CSU) Forderungen jüdischer Organisationen nach Entschädigungen zurück. Das war 1985. Während der wegen seiner oft schroffen Rhetorik auch als „Stammtisch-Rambo“ (Stern) titulierte CSU-Mann Fellner mit einer Entschuldigung für seine verbale Entgleisung davonkam und problemlos weiter in den Gremien des Bundestags sitzen konnte, soll für den AfD-Abgeordneten Stephan Brandner weniger Nachsicht gelten. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag hatte via Twitter die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den Rocksänger Udo Lindenberg als „Judaslohn“ bezeichnet.

Aus der damals von Alfred Dregger geführten Fraktion, die gar nicht daran dachte, einen wie Fellner auszuschließen, läßt heute der Rechtspolitiker Jan-Marco Luczak (CDU) verlauten, Brandner sei untragbar und müsse zurücktreten. Volker Ullrich, ein Parteifreund von Fellner, warf Brandner ein Spiel „mit antisemitischen Ressentiments“ vor. 

Geschäftsführer mehrerer Fraktionen überlegen inzwischen, wie man Brandner als Chef des Rechtsausschusses loswerden könne, da dieser nicht zurücktreten will. Das ist gar nicht so einfach, denn entgegen einer weit verbreiteten Annahme werden Vorsitzende von Bundestagsausschüssen nicht von diesen gewählt. So schildert das Buch „So arbeitet der Deutsche Bundestag“, daß der Ältestenrat (in dem alle Fraktionen vertreten sind) eine Vereinbarung treffe, „welche Fraktion in den verschiedenen Ausschüssen den Vorsitz und welche den stellvertretenden Vorsitz stellt“. Können sich die Fraktionen nicht einigen, etwa weil mehrere Wert auf den Vorsitz des Innen- oder Finanzausschusses legen, kommt das „Zugriffsverfahren“. 

Dann greifen die Fraktionen nach ihrer jeweiligen Stärke auf die noch freien Vorsitze zu. Die größte Oppositionsfraktion bekommt nach den ungeschriebenen Regeln des Parlaments immer den Vorsitz des Haushaltsausschusses – der fiel 2017 somit an die AfD, die dafür Peter Boehringer bestimmte. Der Bundestag setzt zwar die Ausschüsse ein und legt deren Größe fest – wer aber schließlich welchen Vorsitz erhält, entscheiden die jeweiligen Fraktionen. 

Wer Brandner loswerden will, muß die gesamte Einigung über die Ausschußbesetzung im Bundestag wieder aufschnüren. Oder es müßten Wahl und Abwahl von Ausschußvorsitzenden in der Geschäftsordnung festgelegt werden. Daß so was nicht auszuschließen ist, zeigt die Verhinderung eines Alterspräsidenten von der AfD. Die Aufgabe wäre Wilhelm von Gottberg (AfD) zugefallen, wenn nicht kurz vor der Bundestagswahl ein Passus in die Geschäftsordnung eingefügt worden wäre, wonach der Alterspräsident parlamentarische Erfahrung vorweisen müsse. Damit war von Gottberg aus dem Rennen. Hermann Otto Solms (FDP) eröffnete die Sitzung, und die Bundestagsjuristen hatten wieder einmal unter Beweis gestellt, zu welchen Winkelzügen sie fähig sind.