© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/19 / 08. November 2019

Überlebt vor allem dank Westkapital
30 Jahre Mauerfall: Die DDR zählte nicht zu den zehn größten Industrieländern / Wenige Firmen überlebten
Paul Leonhard

Vor Halloween waren sie wieder zu sehen: gruslige Plastikfiguren gefüllt mit Liebesperlen. Traditionell werden diese bei Hoinkis in Görlitz produziert. Das 1896 gegründete Familienunternehmen ist ein Beispiel für eine gelungene Reprivatisierung. Im direkt am Grenzfluß Neiße gelegenen Hirschfelde werden Spül- und Waschmittel produziert. 1993 erwarb der Chemiker Wolfgang Groß den Standort des VEB Fettchemie, gründete die fit GmbH. Der Ex-Procter&Gamble-Forscher modernisierte den Standort, kaufte vom füheren Arbeitgeber die Marken Rei, Rei in der Tube und Sanso oder Sunil und Kuschelweich von Unilever und verdreizehnfachte den Umsatz.

Wohlstand durch Erdöl und heimische Braunkohle

Görlitz steht exemplarisch für den industriellen Wandel seit 1990. Während das Wohl der polnischen Oststadt Zgorzelec an der Zukunft des Braunkohlekonzerns PGE hängt, der Grube und Kraftwerk Túrow betreibt (JF 39/19), hängen Tausende Arbeitsplätze im Dampfturbinenwerk und im Waggonbau von Münchner Siemens-Entscheidungen und des Bombardier-Konzerns in Montreal ab. Auch das ist symptomatisch für die Wirtschaft in den fünf Ländern der Ex-DDR.

Die KME Mansfeld, die mit Kupfer und Messing 1,3 Milliarden Euro Umsatz erzielt, gehört zur Osnabrücker KME, die ihrerseits zur Mailänder Intek Group. EKO Stahl im brandenburgischen Eisenhüttenstadt (1953 als Stalinstadt und „erste sozialistische Stadt auf deutschem Boden“ gegründet), befindet sich im Besitz des weltgrößten Stahlherstellers, des indisch dominierten Arcelor-Mittal-Konzerns. Bei der Rostocker Meyer-Neptun-Werft (1,7 Milliarden) zieht eine Luxemburger Holding die Strippen. Der Sitz des in der Hansastadt produzierenden Windradhestellers Nordex (2,5 Milliarden) ist in Hamburg, der Hauptaktionär Acciona kommt hingegen aus Madrid.

Glück hatte Stavenhagen in Ostmecklenburg, weil der dänische Discounter Netto (1,2 Milliarden Umsatz) hier seinen Deutschlandsitz errichtete. Die sächsisch-brandenburgische Lausitz lebt weiterhin gut vom „braunen Gold“. Doch wegen des zu Jahresbeginn beschlossenen – und nur von der AfD bekämpften – Kohleausstieges ist spätestens 2038 Schluß damit. Bis dahin betreibt nach dem Rückzug des schwedischen Staatskonzerns Vattenfall die tschechische EPH-Holding die Lausitz Energie Kraftwerke AG Cottbus (2,1 Milliarden). Französisches Kapital bestimmt die Entwicklung der Total Raffinerie Mitteldeutschland in Leuna.

Die russische Rosneft hält die Mehrheit an der PCK-Raffinerie (2,1 Milliarden Umsatz) in Schwedt. Rolls-Royce Deutschland setzt in Dahlewitz südlich von Berlin 1,5 Milliarden Euro mit dem Bau von Flugzeugtriebwerken um. Der Leipziger IT-Dienstleister Comparex (2,4 Mrd) ist seit Februar 2019 im Besitz der Schweizer Software-One. Und was von der Dresdner Halbleiterindustrie, einst als AMD-Werk gefördert mit riesigen Summen aus dem Staatshaushalt, übriggeblieben ist, fungiert heute unter dem Namen Globalfoundries (knapp 1,5 Milliarden) und ist die Tochter des gleichnamigen US-Konzerns, der komplett dem Emirat Abu Dhabi gehört.

Auch hinter den Energieriesen verbirgt sich westdeutsches Kapital. Die Envia Mitteldeutsche Energie Chemnitz (2,2 Milliarden) und die Mitteldeutsche Netzgesellschaft Strom Halle (2,75 Milliarden) gehören zum Essener Innogy-Konzern, der derzeit von Eon übernommen wird. Dieser hält auch zwei Drittel der Anteile des Stromversorgers Edis AG Fürstenwalde (2,7 Milliarden). Die Schweriner Energieunion (1,3 Milliarden) ist eine Tochter der Leipziger VNG (11,2 Milliarden). Der 11,2-Milliarden-Konzern gehört zwar zu den 75 größten Unternehmen Deutschlands, doch die Mehrheit besitzt Baden-Württembergs landeseigener Energiekonzern EnBW in Karlsruhe.

Auch die Aktienmehrheit des Medizintechnikkonzern Carl Zeiss Meditec Jena (1,28 11,2 Milliarden) liegt beim Stiftungskonzern Carl Zeiss Oberkochen in Württemberg, wohin die Firmenführung vor dem Rückzug der US-Besatzer im Juli 1945 floh. Wenigstens ist es – dank des früheren CDU-Politikers Lothar Späth – gelungen, aus den Überresten des DDR-Kombinates Carl Zeiss Jena einen überlebensfähigen Kern zu entwickeln: Die börsennotierte Jenoptik mit einem 835-Millionen-Umsatz.

Programm zur Förderung des Wohneigentums nötig?

Die Rotkäppchen-Sektkellerei in Freyburg an der Unstrut (1,1 Milliarden Umsatz) ist deutschlandweit bekannt, aber sie gehört zur Getränkedynastie Eckes-Chantré mit Sitz in Eltville am Rhein. Senf aus Bautzen kommt zwar tatsächlich aus der Spreestadt, aber Eigentümer ist seit 1992 die Develey Senf & Feinkost aus Unterhaching. Die Knäckebrotfabrik Burg gehört seit 2001 dem Zwieback-Marktführer Brandt.

Immerhin gibt es in den neuen Bundesländern auch starke Familienunternehmen, wie die Krieger-Gruppe in Berlin-Schönefeld, die die Höffner-Möbelmärkte betreibt und nach Schätzungen der Gewerkschaft Verdi einen Umsatz von mindestens zwei Milliarden Euro erzielt, oder die Papierfabrik Georg Leinfelder in Schwedt (850 Millionen Umsatz). Auch die Braun Beteiligungs GmbH Greifswald und die HN Holding Schwerin sind Beispiele für „echte“ unabhängige Firmenzentralen, aber beide agieren weit unterhalb der Milliarden-Umsatz-Grenze. Das trifft auch für den familiengeführten Fertighausanbieter Town & Country Haus (0,575 Mrd) im Dorf Behringen in Thüringen zu.

Die Stasi-Auslandsspionage hatte wirklich „Weltniveau“, sie wußte – dank ihrer Agenten James Hall und Hüseyin Yildirim – schon 1986, daß die US-Behörde NSA weltweit sogar Verbündete elektronisch ausspionierte. Die DDR gehörte aber nicht zu den zehn stärksten Industrienationen, wie es die SED westdeutschen Wirtschaftslenkern weisgemacht hatte, was dazu führte, daß der Großteil der Industriearbeitsplätze nach 1990 abgewickelt werden mußte. Daß die heute existrierenden wirtschaftlichen Leuchttürme verlängerte Werkbänke sind und sich die Konzernzentralen im Westen befinden, ist zwar für Kommunalpolitiker und die Landesfinanzminister ärgerlich. Für die Beschäftigten zählt aber vor allem, daß sie mit ihrer Arbeit ihren Familien ein einträgliches Leben sichern können. Der Kapitalismus sei vor 30 Jahren in den Osten zurückgekehrt, konstatiert das Manager-Magazin, „doch das Kapital hat seine Heimat im Westen“.

Daß „ohne Eigentum“ der Kapitalismus nicht funktioniert und ein System instabil ist, „wenn viele kein Vermögen haben“, beschäftigt auch Hans-Werner Sinn. In einem Beitrag für Die Zeit (JF 42/19) unterstützt der frühere Präsident des Münchner Ifo-Instituts die Idee seines Nachfolgers Clemens Fuest, einen staatlich beaufsichtigten Vermögensfonds zu bilden, zu dem Bürger der neuen Länder einen privilegierten Zugang erhalten sollten. Vor allem aber müßte für den Osten ein Programm zur Förderung des Wohneigentums aufgelegt werden, „um die Versäumnisse bei der Privatisierung der Wohnungsbestände wenigstens teilweise zu kompensieren“.

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