© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/19 / 08. November 2019

Seit an Seit mit dem Antikapitalismus
Von der Außenpolitik bis zum Sport: Über linke, parteinahe Stiftungen und Initiativen zielt ein neuer Feminismus auf alle Politikfelder
Björn Beiersdorf

Ob #Metoo- oder „Paygap“-Debatte, ob Gender Studies oder Gendersternchen im alltäglichen Schriftbild, der politische Feminismus gewinnt im 21. Jahrhundert besonders in den USA und in Europa  an gesellschaftlicher Sprengkraft. Im Gegensatz zu früheren Frauenrechtsbewegungen, Emanzipations- oder Antidiskriminierungskampagnen verfügen die heutigen Organisationen und Vereine insbesondere in Deutschland über einen exzellenten institutionellen Zugang zur etablierten Politik, zu Medien und Unternehmen. Moderne Feministen gehen dabei inhaltlich jedoch weit über die Forderungen voriger Generationen hinaus, so daß man eigentlich von einem Post- oder Neo-Feminismus sprechen müßte.

„The Future is Feminist“ lautet das Motto eines von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) organisierten Projekts aus dem Juni 2019, welches „feministische Antworten und Perspektiven“ zu den Themen Arbeit und Digitalisierung geben soll, da Frauen in internationalen Foren und Organisationen vernachlässigt würden.

Im Zuge des Projekts hat die FES zahlreiche feministische Akteure aus der ganzen Welt vernetzt – die Stiftung unterhält zahlreiche Büros im Ausland. Christiane Kesper, Leiterin der Abteilung internationale Entwicklungszusammenarbeit bei der FES, betonte, der Kampf für soziale Gerechtigkeit sei ein gemeinsames Anliegen der Sozialdemokratie, der Arbeiterbewegung und von „Feminist_innen“ auf der ganzen Welt, insbesondere in der aktuellen politischen Situation. Laut FES sehen sich Feministinnen weltweit wegen des Erfolges von Rechtspopulisten und „konservativen Angriffen auf Frauenrechte“ zum Handeln gezwungen. 

Neben zahlreichen Auslandsbüros werden in Deutschland Projekte unterstützt, welche öffentlich kaum bekannt sind, in denen zahlreiche Thesen aufgestellt werden und weitaus mehr als nur die Gleichberechtigung von Frauen gefordert wird. Diese wirken zunehmend in die politische Arena.

SPD fordert 50:50-Regelung

Bereits Anfang 2019 initiierte die SPD im Vorfeld der Europawahl eine „fifty-fifty“-Resolution: „Seit 100 Jahren dürfen Frauen wählen. Aber das reicht nicht. Heute geht es darum, daß Frauen endlich auch gewählt werden können! Nicht nur wenige – sondern so viele wie Männer! Frauen sind die Hälfte der Bevölkerung. Und darum haben sie auch Anspruch auf die Hälfte der Macht. Von der Kommune bis nach Europa. 50:50 – in den Parlamenten und in der Europäischen Kommission. Das heißt: Auf allen Wahllisten sollen Frauen und Männer abwechselnd vertreten sein.“

Neben der Gleichberechtigung von Frauen fordert die SPD also auch eine umfassende Gleichheit von Frauen und Männern in der Politik. Der Widerspruch hinsichtlich der demokratischen Prinzipien von Allgemeinheit und Freiheit, nicht nur bei der Wahl, sondern auch bei der Aufstellung von Listen, sowie das Leistungsprinzip, wird von der SPD „für ein Europa der Frauen“ in Kauf genommen. In der SPD-Parteizeitung Vorwärts wird bereits Druck gemacht: „Trotz jahrelanger Kämpfe beherrscht das Patriarchat unseren Alltag.“ Man müsse „das kapitalistische Patriarchat in den Fokus des politischen Kampfes rücken“. 

Tatkräftig unterstützt von der SPD werden daher Veranstaltungen wie „Feminist Futures for Football!?“, die eine Diskriminierung von Frauen im Fußball und im Sport allgemein kritisiert. Die FES koordiniert sich bei diesem Projekt mit dem 2009 gegründeten gemeinnützigen Verein „Fußball und Begegnung“ in Berlin, der sich gemäß eigener Satzung der „Bekämpfung von Ungleichheiten und strukturellen Diskriminierungen jeder Art wie Rassismus, Sexismus, Handicapism, Klassismus, Lookism, sexuelle Orientierung“ verpflichtet hat. 

Der Verein richtet jährlich die Initiative „Discover Football“ aus, nach eigenen Angaben ein „Frauen*Fußball-Kultur-Festival“ zur Vernetzung „von Frauenfußballteams und Frauenrechtsaktivistinnen“. 

Seit 2017 ist „Discover Football“ Mitglied in der Arbeitsgruppe „Gleichstellung in Führungspositionen“ zur Umsetzung der „Strategischen Eckpunkte zum Themenfeld Gleichstellung im Sport des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) bis 2020“. 

Laut konsequent gegendertem Jahresbericht der Initiative aus dem Jahr 2014 geht es „Fußball und Begegnung“ darum, „Geschlechterrollen“ aufzubrechen und die „Diversität“ von „fußballspielenden Frauen“ auch hinsichtlich ihrer Hautfarbe oder sexuellen Orientierung zu demonstrieren. 

Die Initiative wird neben der FES von weiteren Sponsoren aus Politik und Wirtschaft unterstützt, so etwa durch die Kulturstiftung des DFB, die über einen eigenen „Botschafter der Vielfalt“ verfügt. Der DFB fördere „Vielfalt“ schon immer aktiv, deswegen wurde in dem höchsten Gremium der Organisation, dem „DFB Bundestag“, 2013 die Arbeitsgemeinschaft „Vielfalt“ gegründet. Die Leiterin der AG und FC-St.-Pauli-Mitglied, Claudia Wagner-Nieberding, beschreibt ihre Tätigkeit in einem Interview mit dem Neuen Deutschland: „Meine Aufgabe ist die Entwicklung neuer Ideen und die gemeinsame Umsetzung von Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt.“ 

„Es gibt keinen Frauen- und Herrenfußball“

Der neue Präsident des DFB, Fritz Keller, sieht indes keine Unterschiede mehr: „Es ist zeitgemäß, daß Fußball zusammengehört. Es gibt keinen Frauen- und Herrenfußball, es gibt Fußball.“ Keller fordert, daß alle Profivereine der ersten und zweiten Liga künftig Frauenvereine „richtig groß unterstützen“ – auch als „Lizenzierungsbedingung“. Der DFB-Präsident sieht darin einen „essentiellen Schritt für die Zukunft“. 

Michelle Müntefering (SPD), die Deutschland von 2019 bis 2020 im UN-Sicherheitsrat vertreten soll und seit 2018 Staatsministerin im vierten Kabinett Merkel ist, sieht das ähnlich. Für sie hat das Lebensgefühl des Fußballs „ein kleines Problem“: „Es waren einfach deutlich viel mehr Männer als Frauen. Weltweit ist der Frauenfußball immer noch nicht dort, wo er sein sollte.“

Das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium gehören ebenfalls zu den Förderern von „Discover Football“. Die Behörden halten sich jedoch bedeckt mit Angaben zur konkreten Unterstützung der Initiative. Neben Linkspartei und der den Grünen nahestehenden Heinrich Böll Stiftung (HBS) gehört auch Volkswagen zu den Sponsoren und plaziert eigene Produkte auf den Veranstaltungen, so etwa Multivans für den Transport der Teilnehmer. Grußworte Claudia Roths (Grüne) zum fünften Geburtstag des Vereins dürfen da nicht fehlen: „Du – Frau – du bist nicht allein – du bist kein Einzelfall, sondern es gibt strukturelle Diskriminierung und die wollen und werden wir gemeinsam überwinden.“ 

Die FES veröffentlicht zudem mehrere feministische Schriften, so etwa „Solidarity in Struggle: Feminist Perspectives on Neoliberalism in East-Central Europe“, in der der „Neoliberalismus“ für eine Fülle an sozialen Übeln, vor allem aber für eine vermeintliche „Feminisierung der Armut“ verantwortlich gemacht wird, auf die eine feministische Reaktion erfolgen müsse. 

Politisch immer stärker artikulierte Forderungen einschlägiger Lobbygruppen nach einer „feministischen“ Außenpolitik haben in der institutionellen Umsetzung zunehmend Erfolg. 2014 erklärte beispielsweise die schwedische Regierung unter Margot Wallström eine dezidiert feministische Außenpolitik. Kanada formulierte 2017 eine feministische Entwicklungspolitik, und bei den Europawahlen 2019 forderten einzelne Parteien ebenfalls eine feministische europäische Außenpolitik. 

Diese Entwicklung entspricht den Vorstellungen von Kristina Lunz, Mitbegründerin des Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP), mit Sitz in Deutschland und Großbritannien. Die Nichtregierungsorganisation versucht die Außenpolitik von Staaten hinsichtlich „feministischer“ Aspekte zu beeinflussen. In der Außenpolitik gelte immer noch der Ansatz des politischen Realismus, beklagte Lunz in einem Artikel der ehemaligen SED-Zeitung Neues Deutschland, institutionelle Strukturen würden angeblich immer noch weiße und männliche Normen privilegieren. Ein feministischer Ansatz hinterfrage hingegen das traditionelle außenpolitische Verständnis, welches lediglich auf militärischer Gewalt und Herrschaft basiere. Eine solche Herangehensweise biete ein „intersektionelles Umdenken“ entgegen der „destruktiven Kräfte von Patriarchat, Kapitalismus, Rassismus und Militarismus“. Der Kapitalismus im Einklang mit Militarismus, Rassismus und dem Patriarchat: Aussagen, welche über die bloße Gleichberechtigung von Frauen weit hinaus und tiefer in das Lager der politischen Linken hineingehen. 

In diesem Zusammenhang rücken Partnerschaften und Förderungen seitens Wirtschaft und Politik in den Fokus. Die Heinrich-Böll-Stiftung fördert das CFFP und publiziert zahlreiche Inhalte für eine feministische Außenpolitik. Laut Netzseite der HBS halte ein Friedensprozeß in 35 Prozent der Fälle länger als 15 Jahre, wenn eine Frau daran beteiligt ist. Diese Aussage darf hinsichtlich ihrer schwachen Validität und mangelnden allgemeinen Nachweisbarkeit wissenschaftlich in Frage gestellt werden. 

Trotzdem: Eine friedliche Welt bleibe ohne eine feministische Außenpolitik eine Utopie, schreibt Lunz. Die Stiftung unterhält eigens das Gunda-Werner-Institut „für Feminismus und Geschlechterdemokratie“. Dort erscheinen neben vermeintlich wissenschaftlichen, jedoch stark ideologisch aufgeladenen Publikationen, in denen weiße, heterosexuelle Männer per se als privilegiert dargestellt werden, auch Interviews mit Politikern wie Michelle Müntefering. 

Müntefering stimmte in dem Interview Aussagen zu, welche die deutsche Außenpolitik als „von einem patriarchalischen System ausgestaltet“ bezeichnen. Eine feministische Außenpolitik nach dem Vorbild Schwedens findet Müntefering „großartig“ und betont: „Frauen haben eine maßgebliche Rolle für Frieden und Sicherheit.“