© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/19 / 08. November 2019

Nur die Nationalisten stören den Konsens
Bei der Diskussion um ein Polendenkmal sind sich die bundesdeutschen Historiker einig
Alexander Graf

Soviel Konsens ist selten, wenn Historiker während einer Podiumsdiskussion aufeinandertreffen. Normalerweise stehen sich Thesen und Meinungen unversöhnlich gegenüber. Doch nicht so während der Veranstaltung Mitte Oktober im Ort der Information unter dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin-Mitte. 

Bei der Frage des Abends, ob es eines Erinnerungsortes für die polnischen Opfer der deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkriegs bedürfe, herrschte einhellige Zustimmung. Der ehemalige Leiter des Deutsch-Russischen Museums Berlin-Karlshorst, Peter Jahn, beklagte, zu lange seien die Osteuropäer aus dem Gedenken ausgeschlossen worden. Das liege auch an den unterschiedlichen Lebensrealitäten der Deutschen und Polen nach 1945. 

Teilnehmer hadern mit Situation in Osteuropa 

Der Gründer der Initiative für einen Gedenkort, der an die Opfer der deutschen Lebensraumpolitik erinnert, plädierte daher für eine Einrichtung, die zwei Zwecke zu erfüllen habe. So müsse er zugleich informieren und repräsentativ angelegt sein. Dabei dürfe jedoch die polnische Kollaboration, die es mitunter gegeben habe, nicht ausgeklammert werden. 

Darauf wies auch Michael Wildt hin. Der Historiker an der Humboldt-Universität machte zugleich die gegenwärtige PiS-Regierung in Polen als Verantwortliche für eine Nationalisierung des Gedenkens aus. Damit sei eine schwierige Lage entstanden. Der Bonner Professor für osteuropäische Geschichte, Martin Aust, betonte, die Deutschen müßten sich ihrer Rolle im Vernichtungskrieg an Weichsel und Warthe bewußt sein. Es sei „erfreulich“, daß nun das Thema neuer Denkmäler in der Öffentlichkeit wahrgenommen werde. Sorge bereite ihm nur ein mögliches vorzeitiges Ende der Großen Koalition. Denn in dem Fall drohe eine abnehmende Aufmerksamkeit für derartige Projekte. 

Der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Axel Drecoll, beschwor wie Wildt die Gefahr, die von seiten der Politik drohe: das Gespenst des Nationalismus. Er forderte, die Wissenschaft müsse „Stopp-Schilder“ setzen, damit die Erinnerung an die Opfer nicht für politische Zwecke instrumentalisiert werde. 

Wildt sah diese Gefahr nicht nur in Polen, sondern auch in den anderen Staaten Osteuropas. Allgemeine Zustimmung erntete er für seinen Vorschlag, statt eines Standard-Denkmals, das Politikern nur als Platz zum Kränzeablegen diene, sollte es ein Dokumentationszentrum geben. Das müsse in Kooperation mit den von der deutschen Besatzung betroffenen Ländern entstehen. 

Wie so ein internationales Projekt angesichts der derzeitigen Lage östlich der Oder realisiert werden sollte, dazu äußerte sich keiner der Diskussionsteilnehmer. Angesichts der Spannungen zwischen den baltischen Staaten und Rußland, des Krieges in der Ukraine und des seit 2015 belasteten Verhältnisses zwischen diesen Staaten und Deutschland dürfte es so schnell keine Umsetzung der ambitionierten Pläne geben. 

Sollte die Bundesregierung die Errichtung eines Denkmals oder wie auch immer gearteten Erinnerungsortes für die polnischen Opfer der Besatzungspolitik umsetzen, dürften entsprechende Forderungen der anderen ehemaligen Kriegsgegner folgen. In jüngster Vergangenheit geäußerte Reparationsforderungen aus Polen und Griechenland lassen erahnen, was noch auf Deutschland zukommen könnte.