© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/19 / 08. November 2019

Zurück zum Handwerk
Hippes Erscheinungsbild: Junge Fleischer arbeiten am Ruf ihres Berufsstandes
Boris T. Kaiser

Die sich häufenden Lebensmittelskandale wie kürzlich um den Wurstproduzenten Wilke oder wiederkehrende Meldungen über die erbärmlichen Zustände bei der Massentierhaltung stoßen immer mehr Verbrauchern sauer auf. Es gibt einen neuen Trend zum Ursprünglichen. Zumindest bei jenen, die es sich leisten können – fern der Hipsterkieze hat der Metzger oftmals zu kämpfen (JF 35/18).

Getreu dem Hype um Produkte vom Öko- oder Biobauern wird auch die Nachfrage nach Fleisch vom traditionellen Metzger des Vertrauens größer. Junge, hippe Gewerbetreibende konzentrieren sich wieder auf den Beruf des Fleischers als Berufung und verleihen ihm damit einen Wert, den eine neue, sich immer bewußter ernährende Konsumentenelite auch tatsächlich bereit ist zu zahlen. 

Einer der Trendsetter dieses neuen Fleischmarkts sind die „Fleishers“ aus New York, die seit 2004 auf ihrer gleichnamigen Netzseite alles anbieten, was das Fleischesserherz begehrt – vom Thanksgiving-Truthahn bis zu saisonalen Wurstvariationen. Auch Workshops für Hobbymetzger kann man buchen. Zusätzlich haben die New Yorker mittlerweile mehrere Filialen in ihrer Stadt, Transparenzphilosophie bei der Herkunft der Tiere inklusive.

Die USA sind nicht zufällig ganz vorne mit dabei, wenn es um die neue Lust an gutem Fleisch geht. Im Land der bibeldicken Steaks hat der Butcher teilweise einen ähnlich ambivalenten Ruf wie sein Berufskollege in Europa. Auf der einen Seite gilt der Fleischer als Vertreter eines altehrwürdigen Handwerks, dessen Wissensgrundlagen seit Generationen weitergegeben und verfeinert werden. Auf der anderen Seite umgibt die Figur des Schlachters in Filmen wie im realen Leben stets eine gewisse Aura der Brutalität und der unsentimentalen Härte. 

In jedem Fall galten Fleischer schon immer als ganze Kerle. Mit diesem Image spielen auch die neuen Traditionalisten des Gewerbes. Die jungen Metzgereiunternehmer präsentieren sich als kernige Naturburschen, gerne tätowiert und häufig mit Vollbart – die Trendjobs Craft-Bierbrauer (31-32/19) und Barbier (JF 43/16) lassen grüßen. Kein Wunder, sind diese äußeren Erkennungsmerkmale geradezu prädestiniert, um eine gelungene Symbiose aus alter Tradition und modernem Zeitgeist zu signalisieren.

Mehr Nachhaltigkeit und Tierwohl

Es bleibt – und das ist entscheidend – aber nicht allein bei Oberflächlichkeiten. Die neuen Altmeister der Fleischerei haben tatsächlich wieder echte Werte, mit denen sie sich von der würdelosen Massenverarbeitung in großen Schlachtfabriken deutlich unterscheiden und abheben. „Wir wollen diese Zustände ändern und den ehrlichen Genuß zurückholen. Es geht dabei um nichts weniger, als dem Fleisch und dem Handwerk seine Würde zurückzugeben“, schreibt das Berliner Gastro-Unternehmen „Kumpel & Keule“ (K&K) auf seiner Internetpräsenz. Die Metzgerei, die Marktstände und eine angeschlossene Speisewirtschaft in Kreuzberg betreibt, verspricht: „Als Kriterien stehen das Wohl der Tiere von der Aufzucht bis zur Schlachtung und die besondere Fleischqualität – mit Vorliebe die alter Rassen – an vorderster Stelle.“

K&K wollen mit ihrer Unternehmens­philosophie der Anonymität in der Lebensmittelwirtschaft entgegentreten. An dieses Anliegen knüpft auch die „gläserne Metzgerei“ des Betriebs „Lappen und Prengel“ in Köln an. Das Kühlhaus und die Arbeitsräume, in denen an großen Fleischerhaken die geschlachteten und zur Weiterverarbeitung bereiten Tiere hängen, befindet sich hier nicht versteckt im hintersten Winkel des Betriebs, sondern für alle Kunden gut einsehbar hinter einer Scheibe. „Wer Fleisch ißt, muß sich auch damit auseinandersetzen, daß es von einem Tier stammt. Daß dieses Tier einmal ein Leben hatte“, erzählt Gründer und Berufsjäger Mark Junglas dem Focus, und versichert, nur Fleisch von Tieren zu verkaufen, die er auch selbst erlegt hat.

Zeigen, was Sache ist, scheint auch das Motto der „Bearded Butchers“ zu sein. Die US-Amerikaner Seth und Scott Perkins betreiben neben ihrem Fleisch- und Gewürzhandel einen eigenen Youtube-Kanal (151.000 Abonnenten), auf dem sie genau zeigen, wie welches Tier zerlegt und komplett verwertet wird. Einen Ansatz, den das Gastro-Magazin Bon Appétit in seiner Videoreihe „Handcrafted“ ebenfalls verfolgt. Allein die verschwendungsfreie sorgfältige Zerteilung einer Kuh haben bisher mehr als acht Millionen Online-Zuschauer verfolgt.

Daß die Entwicklung zu mehr Tierwohl und Nachhaltigkeit beim Fleisch eine ganze Weile anhalten wird, glauben auch große Unternehmen. Die Firma Sonnberg Biofleisch hat gerade 8,5 Millionen Euro in einen neuen angeblich Streß reduzierenden Bio-Schlachthof in Österreich investiert. Ob so viel kapitales Interesse die wiedergefundenen Werte der Fleischindustrie langfristig eher stärkt oder schwächt, steht auf einem anderen Blatt.