© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/19 / 15. November 2019

Der Macht ins Rad greifen
Hans Herbert von Arnim zum 80. Geburtstag: Erfolgreicher Streiter gegen Parteienherrschaft und für Volkssouveränität
Jörg Kürschner

Aus der Politik dürfte sich die Zahl der Glückwünsche in Grenzen halten, wenn der Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim an diesem Samstag auf seinen Geburtstagstisch blickt. Vor 80 Jahren in Darmstadt geboren, hat von Arnim wie kaum ein anderer Rechtswissenschaftler Gesetzgebung im Vorfeld beeinflußt oder nachträglich durch Klagen zu Fall gebracht. Kaum vorstellbar, aber deutsche Wirklichkeit. 

1992 enttarnte der Verfassungsrechtler eine Regelung im Saarland, die Mitgliedern der Regierung von Oskar Lafontaine (damals SPD) schon nach einem Tag im Amt die Höchstpension verschaffen konnte. Das Gesetz wurde aufgehoben. Von Arnim ist es auch zu verdanken, daß für die Wahl zum Europäischen Parlament derzeit keine Sperrklausel gilt. 2010 legte er Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen die Fünfprozenthürde ein, unterstützt von Bürgern und Berufskollegen. 

Wider Sperrklauseln und  zu hohe Wahlkampfkosten

Das höchste deutsche Gericht folgte seiner Argumentation, die Regelung diskriminiere kleinere Parteien, da deren Wählerstimmen nicht nur unberücksichtigt blieben, sondern anderen Parteien zugute kämen. In ihrem Ärger über die unerwartete Niederlage beschlossen die Bundestagsabgeordneten ungeachtet vieler Warnungen trotzig eine Dreiprozentklausel. Der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) wollte sich mit der Niederlage nicht abfinden. Arnim zog erneut vor das Karlsruher Gericht. Wieder mit Erfolg. Von fünf auf drei auf null. Das Europäische Parlament wurde 2014 wie auch zuletzt im Mai dieses Jahres ohne Sperrklausel gewählt. Doch in ihrem Kampf gegen die Kleinstparteien lassen sich Union und SPD nicht beirren. Auf ihre Initiative haben sich die EU-Staaten im vergangenen Jahr grundsätzlich auf eine Sperrklausel ab 2024 geeinigt. Danach muß künftig von größeren EU-Ländern eine Mindesthürde zwischen zwei und fünf Prozent der Stimmen eingeführt werden. Gerade einmal neun von den 96 deutschen Europa-Parlamentariern gehören Kleinstparteien an, darunter die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP).

Für diese Partei, die Anfang der achtziger Jahre von dem einstigen CDU-Bundestagsabgeordneten Herbert Gruhl gegründet worden war, legte der Staatsrechtler 2002 Organklage beim Bundesverfassungsgericht ein. Er rügte das bereits beschlossene Gesetz zur Parteienfinanzierung, das nur Parteien, die in mindestens drei Bundesländern mehr als ein Prozent der Stimmen erhalten, Wahlkampfkostenerstattung zubilligte. „Somit darf das Recht der Parteienfinanzierung das Entstehen neuer Parteien und deren Zutritt zum politischen Wettbewerb nicht über Gebühr erschweren und die Betätigung kleiner Parteien nicht unangemessen beeinträchtigen“, schrieben die Richter dem Bundestag ins Stammbuch.

Die AfD-Abgeordneten im Wiesbadener Landtag dürften mit Interesse zur Kenntnis genommen haben, daß der vor Gericht zumeist erfolgreiche Parteienkritiker ihre kritische Position zum hessischen Wahlrecht teilt. Die Fraktion will eine Korrektur der Mandatsberechnung durchsetzen, nach der ihr ein Sitz zuwenig und der schwarz-grünen Koalition der für die knappe Einstimmenmehrheit entscheidende Sitz zuviel zugesprochen worden sei (JF 42/19). Mit 27 zusätzlichen Überhang- und Ausgleichsmandaten habe Hessen den bundesweit größten Zuwachs unter allen Parlamenten bekommen, kritisiert von Arnim. Ohne diese Extra-Mandate hätte es ein Patt zwischen Schwarz-Grün und den übrigen Fraktionen gegeben. In Hessen sei ein „demokratischer Supergau eingetreten“ – so das vernichtende Urteil des Experten.

Nonkonformist mit eigenem Kopf

Unermüdlich und unbeirrt ficht Armin für ein transparentes Wahl- und Parteienrecht. Stets spricht der selbstbewußte Jubiliar Klartext, der sich auch in den Titeln seiner zahlreichen Bücher und Aufsätze unter anderem in der JUNGEN FREIHEIT wiederfindet („Am Volk vorbei“, „Wenn es ums Geld geht, kungeln die Fraktionen“ oder „Die Diätenlüge“). Auch 14 Jahre nach seinem Ruhestand arbeitet er an „seiner“ Hochschule (seit 2012 Universität) für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Daß er die Politikverdrossenheit gar Demokratieverachtung befördere, läßt Arnim nicht gelten. Er ist im besten Sinne ein Nonkonformist, ein eigener, selten gewordener Kopf. Ein Beispiel. „Vor Merkel habe ich Respekt, weil sie wirklich integer ist“, meinte er kürzlich über die Kanzlerin. Und zur AfD? „Man darf der AfD das Gespräch nicht verweigern. Sie ist erst ein paar Jahre alt. Neue Parteien haben es immer schwer“.