© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/19 / 15. November 2019

Heirat mit dem Zeitgeist
Österreich: ÖVP-Chef Sebastian Kurz auf dem medial bejubelten Weg von Mitte-Rechts nach Mitte-Links
Josef Hämmerling

Gegensätze ziehen sich an. Nach diesem alten Sprichwort läuft die Regierungsbildung in Österreich. Nach den Sondierungsgesprächen haben die „türkise“ Volkspartei (ÖVP) und die Grünen beschlossen, formelle Koalitionsgespräche aufzunehmen. Und das, obwohl die Positionen in der Einwanderungs-, der Sozial- und Umweltpolitik weit entfernt sind.

Norbert Hofer, Chef der bis Mai mitregierenden FPÖ, forderte Ex-Kanzler Sebastian Kurz „dringend auf, sich von der Illusion einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit den Grünen zu verabschieden“. Der ÖVP-Chef verlasse den „Mitte-Rechts-Kurs der Regierungsarbeit und liefert Österreich den Grünen aus.“ Die Grünen stünden für neue Belastungen in der Wirtschaft, würden sich gegen wichtige Infrastrukturprojekte aussprechen und seien ein „Garant für eine Belastung von allen Menschen“, mahnte der Ex-Verkehrsminister.

Doch die FPÖ hatte sich nach dem Absturz von 26 auf 16,2 Prozent selbst aus den Sondierungen zurückgezogen – wie die von 26,9 auf 21,2 Prozent gestutzte SPÖ. Für deren Chefin Pamela Rendi-Wagner sind türkis-grünen Sondierungen „erwartbar“ gewesen. Die drängenden Herausforderungen seien „leistbares Wohnen, sofortige, starke Steuersenkungen und hohe Investitionen für den Klimaschutz“. Die SPÖ sei bereit, sich konstruktiv einzubringen. Für Beate Meinl-Reisinger, Chefin der „pinken“ Neoliberalen (Neos), bleibt abzuwarten, ob „echte Reformen“ kommen oder „nur eine Koalition des kleinsten gemeinsamen Nenners übrigbleibt“. Dabei hatte die Ex-ÖVPlerin vor der Wahl am 29. September zusammen mit den meisten Medien auf Türkis-Grün-Pink gehofft – doch die Greta-inspirierten Wähler katapulierten die Grünen unter dem eher moderaten Werner Kogler mit 13,9 Prozent zurück in den Nationalrat.

Kurz betonte zwar, es sei noch ungewiß, ob die „ergebnisoffenen“ Koalitionsverhandlungen zu einer gemeinsamen Regierung führen. Bei den Konfliktthemen brauche es „Kreativität, um gemeinsame Vereinbarungen zu finden.“ Um grüne Erwartungen zu dämpfen, schloß Kurz eine Koalition mit der FPÖ nicht endgültig aus. Hofer sagte, sollten die Verhandlungen mit der „Weltuntergangssekte“ scheitern, würden die Freiheitlichen „die Lage neu bewerten“.

Vor den Wahlen in der Steiermark am 24. November halten alle die Füße still. Eine Imas-Umfrage sieht die ÖVP im zweitgrößten Bundesland mit 32 bis 34 Prozent (2015: 28,5 Prozent) in Führung, während FPÖ (20 bis 22 statt 26,8 Prozent) und SPÖ (24 bis 26 statt 29,3 Prozent) schwächeln. Die Grünen können auf eine Stimmenverdopplung   (elf bis 13 Prozent) hoffen.

Ex-Bundespräsident Heinz Fischer (SPÖ) faßte die Situation treffend zusammen: Für Kurz sei Türkis-Grün „die günstigste Version, sich die Mehrheit im Nationalrat zu sichern“. Und die Grünen würden „alles tun“, um erstmals auf Bundesebene mitregieren zu können. Der grünenaffine Standard warnte daher seine Lieblinge schon, sich „nicht mit Alibiressorts abspeisen“ zu lassen.

Foto: Grüne Sondierungsgruppe mit Werner Kogler (M.) als Spitzenkandidat: Für Ex-Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz ist ein Zusammengehen mit der linken Ökopartei „die günstigste Version, sich die Mehrheit im Nationalrat zu sichern“