© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/19 / 15. November 2019

Forcierte Umsetzung gefordert
Jülicher Effizienzstudie: Der „klimagerechte“ Umbau der deutschen Energieversorgung soll bis 2050 nur 1.850 Milliarden Euro zusätzlich kosten
Marc Schmidt

In schwierigen Zeiten neigen Menschen wie Firmen dazu, ihr Verhalten radikal zu ändern, um das Überleben zu sichern. Das Forschungszentrum in Jülich bei Aachen, bis 1990 benannt nach der dortigen Kernforschungsanlage (KFA), ist ein Paradebeispiel dafür. Studien zur Reaktorsicherheit finden in Deutschland keine Auftraggeber mehr, weshalb jetzt Werke über „klimagerechteTransformationsstrategien für das deutsche Energiesystem “ voller bedenklicher Hypothesen erstellt werden.

Das Arbeitspapier spekuliert, mit welchen Techniken und zu welchen Kosten sich ein „klimaneutrales“ Deutschland in 2050 versorgt. Wer ältere Studien bezüglich technischer Fragen liest, erkennt, daß eine detailreiche Berechnung eines volkswirtschaftlichen Zeitraums von 31 Jahren in die Zukunft nur spekulativ ist.Für ihr „Klimaziel 2050“ hat die Bundesregierung einen Zielkorridor zwischen 80 und 95 Prozent CO2-Reduktion gegenüber dem Vergleichszeitpunkt 1990 festgelegt. Die Jülicher Forscher stellen für beide Szenarien Kostenrechnungen vor: Die „kumulierten Mehrkosten“ für den Umbau der Energieversorgung betragen demnach 655 Milliarden Euro („Szenario 80“). Die Studie empfiehlt aber das deutlich teurere 95-Prozent-Ziel für zirka 1.850 Milliarden Euro.

Hierfür müßte der Bestand an Solaranlagen um den Faktor 3,7 wachsen. Die heute installierte Windkraftleistung müßte sogar vervierfacht werden. Während das im Solarbereich für den Eigenbedarf möglich erscheint, ist es für Windkraft illusorisch: Viele derzeit genutzte Landstandorte (Onshore ) wären heute nicht mehr genehmigungsfähig. Daß im Bereich der Offshore-Windenergie eine Vervierfachung der ökologisch und ökonomisch vertretbaren Standorte möglich wäre, ist unrealistisch. Die nach dem geplanten Ausbau der Windenergie bei guter Auslastung möglichen Überkapazitäten sollen künftig auch zur Produktion von Wasserstoff verwendet werden, welcher in zu bauenden Pipelines in umgebaute und neu zu bauende Erdgasspeicher gepumpt wird. Dort bedient er im Bedarfsfall an diesen Standorten neu errichtete Rückumwandlungsanlagen in Form von Festoxidbrennstoffzellen mit einer Leistungsfähigkeit von 33 Gigawatt (GW), die die Sicherheitskapazität an Gaskraftwerken mit 13 GW Leistungsfähigkeit ergänzen.

Keine Forschung abseits ideologischer Fesseln?

Zumindest mit dem heutigen Technikstand darf bezweifelt werden, daß diese Maßnahmen und Anlagen ausreichen, um Netzzusammenbrüche in ganz Europa bei Auftreten einer nicht sauber prognostizierten Dunkelflaute zu vermeiden, erst recht nicht, wenn die ab 2035 geforderte radikale Umstellung aller fossilen Verbrennungen auf elektrische Verfahren tatsächlich praktiziert würde. Dies ergäbe trotz aller geforderten Energieeffizienzmaßnahmen einen starken Anstieg des Stromverbrauchs in Deutschland verbunden mit dem Zwang, die Hälfte des Bedarfs an Wasserstoff zur Energieerzeugung zu importieren.

Die Methodik der Jülich-Studie geht nicht nur davon aus, daß andere Staaten Deutschland eine solche Menge an Wasserstoff liefern können und wollen. Sie trifft auch spekulative Annahmen zur Wirtschafts- und Kostenentwicklung, um dem Slogan der „kostengünstigen Energiewende“ zu untermauern. Die verwendeten spekulativen absoluten (Bau-)Kosten über 31 Jahre zu prognostizieren ist gewagt. Wer im Billionen-Bereich rechnet, kann schnell scheitern, wenn sich Inflation oder Zinsen auch nur im Nachkommabereich ändern. Zum Schmunzeln ist die Rechtfertigung des prognostizierten Ausgabenvolumens. Deutschland habe 2018 63 Milliarden Euro (1,9 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts von 3,34 Billionen Euro) für Energieimporte bezahlt. Um das 95-Prozent-Ziel 2050 zu erreichen, wären bis dahin jährlich 128 Milliarden Euro (2,8 Prozent des BIP oder mehr als die jährlichen Lohn- und Einkomensteuereinnahmen des Bundes zusammen) zusätzlich fällig – bezogen nicht auf 2018, sondern auf das seitens der Forscher über 31 Jahre in die Zukunft gerechnete, dann zu erwartende BIP. Diese Milchmädchenschätzung kommt in der Publikation nebenbei vor, im Vordergrund steht die Aussage, daß dieser Kostenrahmen noch einmal deutlich steigt, wenn nicht sofort mit gretascher Panik mit der Umsetzung der Forderungen begonnen werden würde.

Es ist legitim, in einer Langfriststudie gewagte Prognosen zu erstellen und Wunschszenarien zu skizzieren. Es ist allerdings unseriös, hoch spekulative Modelle zum Umbau einer Volkswirtschaft als einen vermeintlich kostengünstigen Königsweg einer diskutablen Energiewendepolitik darzustellen. Berücksichtigt man die inländischen Probleme beim Bau von Stromtrassen, Flughäfen, Bahnhöfen oder einer Flußausbaggerung, so kann man angesichts der zahlreichen Neubauten in den Bereichen Kraftwerke, Pipelines und Windräder starke Defizite der Studie bezüglich des Realitätsbezugs feststellen.

Für langjährige Kenner des Energiemarktes ist dieses Papier ein weiteres unangenehmes Zeichen dafür, daß seriöse Kraftwerks- und Systemforschung abseits ideologischer Fesseln in Deutschland nicht mehr praktiziert wird.

Studie „Kosteneffiziente und klimagerechte Transformationsstrategien für das deutsche Energiesystem bis zum Jahr 2050“:  www.fz-juelich.de/

Foto: Biogasspeicher-Behälter auf dem Werksgelände der Remondis GmbH im münsterländischen Dorsten: Ein Viertel des deutschen Primärenergieaufkommens im Studien- „Szenario 95“ werden im Jahr 2050 durch den Einsatz von Biomasse und Biogas gedeckt