© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/19 / 15. November 2019

„Gott befiehlt Farben?“
Innere Emigration, Teil II: Stefan Andres Novelle „El Greco malt den Großinquisitor“
Günter Scholdt

Generalinquisitor Niño de Guevara beauftragt den berühmten El Greco, sein Porträt zu zeichnen. Der Maler bespricht sich mit dem befreundeten Arzt Cazalla, dessen Bruder von just diesem Inquisitor zum Feuertod verurteilt worden ist. In El Greco streiten zwei Gefühle miteinander. Anfällig für Ketzereien, fürchtet er den unmittelbaren Kontakt mit dem mächtigen Vertreter einer unerbittlich gewordenen Religion und dessen dogmatische Fallstricke. Gleichzeitig treibt ihn künstlerischer Ehrgeiz, gerade diesen kalt-dämonischen Charakter aller Welt zu enthüllen. Daher schlägt er die Alternative einer zuvor erwogenen Flucht ins freiere Venetien aus.

In Sevilla erleidet der Kardinal während der Sitzungen zu seinem Bild eine Gallenkolik. Ohne Rücksicht auf das, was er dessen Bruder angetan hat, fordert er ausgerechnet Cazalla zur Heilung auf. Wie dieser den Gewissenskonflikt zwischen ärztlichem Ethos und Bedürfnis nach Rache oder Widerstand löst, bildet ein zweites Spannungselement der Erzählung. Am Ende wird Guevara wieder gesund, und El Greco sogar üppig entlohnt, obwohl ihm das Kunststück gelungen ist, im Porträt des Inquisitors die Giftschlange im Auge des „heiligen Henkers“ sichtbar zu machen.

Soweit die Handlung von Stefan Andres’ 1936 publizierter Erzählung „El Greco malt den Großinquisitor“, angeregt durch ein um 1600 geschaffenes mannsgroßes Ölbild, das heute im New Yorker Metropolitan Museum of Art hängt. Der Wert dieses Klassikers der Inneren Emigration bemißt sich dabei, unabhängig von den Aussagen über die Zeit seiner Entstehung, bereits als brillante historisch-theologische Auseinandersetzung mit einem finsteren Abschnitt der Kirchengeschichte. Doch als zweites wichtiges Thema illustriert bzw. erörtert die Erzählung zugleich verdeckt Konflikte und Probleme aus Andres’ Gegenwart, insbesondere die prekäre Zwischenstellung, in er sich als Schriftsteller befand. 

„Er ist ein Heiliger um seiner Schwermut willen“

Denn der Autor erfreute sich eigentlich einer wohlwollenden Aufmerksamkeit der neuen Kulturgewaltigen und sah von daher einer gesicherten Karriere entgegen. Doch seine christliche Prägung wie seine jüdische Frau boten Konfliktstoff und Gefahr in dieser Zeit und nötigten das Ehepaar zu einer verdeckten Emigration nach Italien. Er publizierte jedoch weiterhin in Deutschland. Und seine Schriftsteller-Existenz war von der ständigen Frage bestimmt, wie offen er Dissens und böse Zukunftsahnungen formulieren durfte.

Auch der geschilderte El Greco erkundet in sich ja das vertretbare Maß von Anpassung, Versteckspiel („Wer noch zu leben gedenkt, der lerne lügen.“) oder Lavieren. Welche Bekenntnis-Mission kam ihm zu? Und wuchs nicht mit jeder neuen Veröffentlichung die Gefahr? („Lange kann man sich verbergen, dachte el Greco, und er spürte den Schweiß unter den Achseln ausbrechen, bis der Ruhm kommt.“) Wie verhält man sich dem Terror gegenüber, und wie überwindet man die Furcht, die einen zugleich in verhängnisvolle Fehler treibt? Oder auf Cazallas ethisches Dilemma bezogen: Gibt es ein richtiges Leben im falschen?

Dabei ist Andres’ Alter ego, was der Textqualität zugute kommt, kein Bilderbuchheld, sondern zugleich Diesseitsmensch, dem man die flapsige Erklärung nachsieht, er rechne das Porträt Guevaras zu seinen Heiligenbildern, weil der das zehnfache Honorar des „geizigen“ Königs Philipp zahlte. Doch dieser ironischen Begründung fügt er noch eine zweite an: „‘Ich habe sein Gesicht erkannt, und dafür ist er dankbar, wie selten ist das! Er ist ein Heiliger um seiner Schwermut willen, ein trauriger Heiliger, ein heiliger Henker! Er hat Kryptenaugen’, sprach El Greco leise, ‘und wo sie im Dunkel seines Hauptes und seiner Welt münden, wissen wir nicht.’“

Solche Ambivalenzen oder dunkle Stellen, die sich einem inzwischen geforderten undialektischen Widerstandsappell nicht fügen, haben Interpreten irritiert. Auch des Malers Ausspruch, es sei „umsonst, die Inquisitoren zu töten. Was wir können, ist – das Antlitz dieser Ächter Christi festzuhalten!“, bereitet Probleme, wo man sich nicht genügend bewußt macht, daß hier perspektivisch gesprochen wird oder es Andres auch um überaktuelle Deutungen ging. Weiteres rechtfertigt sich aus der Eigengesetzlichkeit schriftstellerischer Welten, die dennoch mutige Regimekritik nicht ausschließt. Manche Texte enthalten zwar unverschlüsselten Widerspruch, sogar viel häufiger, als dies weithin von Mainstream-Germanisten eingeräumt wird. Doch die damalige Verständigung zwischen Autor und Lesergemeinde vollzog sich in der Regel anders.

Sprache der verborgenen Ketzer ist spannend

Denn vielfach setzte das zeitgenössische Publikum schlicht voraus, daß aktuelle Botschaften verfremdet waren und ihm selbst ein Teil der Entschlüsselung wie der Nutzanwendung zukam. Es wußte, daß zensurresistente Oppositionstexte auch Unanstößiges enthielten und mögliche Provokationen in Geläufiges eingebettet waren. Auch subversive Texte sind daher meist nicht durchgängig zeitbezogen oder enthalten eher überepochale Aussagen. Vor allem aber erzählen sie, jenseits von aktuellen Anspielungen, eigenwertige Geschichten. 

Die heute gängigen Wertungsnormen, wonach glaubwürdige Belletristik im Dritten Reich an der Kampfliteratur des Exils gemessen wird, wenn möglich gar an der eindimensionalen Polemik von Heinrich Mann über Alfred Kerr und Lion Feuchtwanger („Der falsche Nero“), führen nicht selten in ästhetische Sackgassen. Zumindest existiert vernünftigerweise kein Zwang zur agitatorischen Eindeutigkeit oder zum literarischen Arrangement im Sinne eines psychologisch eher uninteressanten Gut-Böse-Schematismus. Vielmehr scheinen mir Werke um so überzeugender und sogar aufklärerisch eindringlicher, je psychologisch nuancierter und erzähltechnisch raffinierter dies geboten wird.

Von daher gehören die spannungsgeladenen Dialoge, bei denen die ketzerischen Protagonisten stets innerhalb des dogmatischen Systems antworten müssen und ein unvorsichtiges Wort ins Verderben führen kann, zu den Höhepunkten von Andres’ Erzählkunst. Dabei begnügt sich der Autor keineswegs mit der Zeichnung des Inquisitors als dumm-sadistische Karikatur. Autor wie sein „Held“ lassen sich sogar teilidentifikatorisch auf ihren potentiell todbringenden Gegenpart ein – ein Erkenntnisverfahren, das als einer der wenigen im Exil (zum Entsetzen mancher Kollegen) Thomas Mann mit dem Essay „Bruder Hitler“ praktizierte. Das verleiht dieser Analyse, in der das Böse mit dem Traurigen verknüpft wird, das Heilig-Idealistische mit fanatischer Besessenheit, ihr subtiles Schillern.

„Schwarz und Rot, was enthüllt das?“

Zudem spürt man, daß Macht neben den terroristischen auch ihre (wider Willen) faszinierenden Seiten besitzt, daß sie buchstäblich in Bann schlägt. Und dennoch hält Andres’ El Greco ihr stand, indem er sie per Autor- bzw. Künstlerschaft zur Kenntlichkeit bringt. In der entscheidenden Sitzung malt er, weil Gott es so wolle, die Mozetta des Kardinals „blutrot“, obwohl der „adventlich violett“ gekleidet ist. „Gott befiehlt Farben?“, fragt der Inquisitor erstaunt, „nach welcher Wahrhaftigkeit“? Und der Maler repliziert:

„Nach jener Wahrhaftigkeit, die der Herr aussprach, als er sich in das Bild des Blitzes begab, der leuchtet von seinem Aufgang bis zu seinem Niedergang und alles enthüllt, was im Verborgenen ist.’ Der Kardinal blickte auf seine gespannt hängenden Hände, er sprach: ‘Schwarz und Rot, was enthüllt das?’ El Greco trat mit seiner ganzen Gestalt hinter der Staffelei hervor, seine Stimme zitterte nicht, gleichwohl war sie leise: ‘Feuer in der Nacht!’ Der Generalinquisitor senkte kaum merklich die Stirn, alle seine Bewegungen waren langsam und immer unauffällig, nur neue Formen seiner Unbeweglichkeit, und so blickte er von unten El Greco an: ‘Ihr meint die heilige Kirche mit diesem Bild!’ El Greco nickte, aber nun zitterte er; und wieder nickte er, flehte zu seinem Mut, daß er ihn nicht verlasse, daß er mit diesem Nicken kein Verräter werde, und so sprach er zitternd: ‘Sie ist ein blutiges Feuer geworden, Eminenz!’ Der Generalinquisitor erhob sich: ‘Ja, die Kirche hat viele Feinde’, sagte er ruhig. Dann fügte er bei, morgen um dieselbe Stunde sei er wieder bereit.“






Prof. Dr. Günter Scholdt, Jahrgang 1946, ist Historiker und Germanist. Seine Serie zu Schlüsseltexten der Inneren Emigration wird in loser Folge fortgesetzt.