© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/19 / 15. November 2019

Das erhabene Gefühl, etwas Gutes zu bewirken
Der Schweizer Journalist Alex Baur zieht eine Schadensbilanz über verheerende Folgen des Idealismus
Volker Seitz

Alex Baurs Buch ist ein gelungenes Stück Aufklärung über die im Namen des Guten errichtete  Denk- und Diskussionsblockade, die jeder freien Gesellschaft und Wissenschaftlichkeit spottet. Haben die Zuschauer oder Leser zum Beispiel vieler deutscher Medien erst einmal den Eindruck gewonnen, journalistische Neutralität spiele in der Berichterstattung eine untergeordnete oder keine Rolle mehr, ist dieses verlorene Vertrauen schwer zurückzugewinnen.

Es finden sich in dem Buch originell nuancierte und pointierte Urteile sowie Prisen feiner Ironie. „Die Botschaften der Gesinnungsethiker sind in der Regel simpel und eingängig, sie lassen sich elegant auf eine knackige Schlagzeile verkürzen. Und sie vermitteln erst noch das erhabene Gefühl, etwas Gutes zu bewirken. Wie schwierig und undankbar ist es dagegen, die komplexen und oft paradoxen Zusammenhänge aufzudröseln, die sich hinter dem Schein des Guten verbergen.“

Aus den zahlreichen Beispielen greife ich aus Platzgründen nur vier mir vertraute Themen heraus: Baur widerspricht der These, daß ein Marshallplan mit einer heilsbringenden Geldschwemme ein Vorbild für die Entwicklung Afrikas sein kann. Schon die Bezeichnung, die an den Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg anknüpft, ist völlig verfehlt. In den europäischen Ländern gab es damals funktionierende Verwaltungen, Justiz, ausgebildete Bevölkerungen. Das ist in Afrika allenfalls rudimentär vorhanden. Und die Behauptung, man stärke die „eigenen Entwicklungskräfte“ Afrikas, höre ich auch schon seit Jahren und Jahrzehnten, ohne daß die Hilfe tatsächlich diesen Effekt gehabt hätte. Wir Europäer werden die Probleme Afrikas nicht lösen können. Unsere Entwicklungshilfe beruht auf dem Trugschluß, daß wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt ohne politische Entwicklung möglich sei. Dabei schaffen unsere Entwicklungshelfer nur weiterhin eine Wohlfahrtsmentalität unter afrikanischen Politikern. Sie erkennen gar keine Notwendigkeit, selbst zu handeln, weil es immer irgendjemanden in Berlin, Brüssel oder anderswo in Europa gibt, der das für sie tut.

Über das Klima schreibt er: „Das Klima ist ein hoch komplexes, von Wechselwirkungen und unzähligen lokalen Faktoren bestimmtes System, über das wir herzlich wenig wissen. (...) Die religiöse Verbissenheit, mit der mehr oder weniger wahrscheinliche Hypothesen als wissenschaftlich erforschte und erhärtete Tatsache gepredigt werden, müßte uns erst recht skeptisch stimmen.“

Alex Baur erinnert daran, daß bei der Herstellung von Solarpanelen China ein weltweites Monopol geschaffen hat, weil sie dank des günstigen Kohlestroms günstig produziert werden können. Auch gäbe es kein Solar- oder Windprojekt auf der Welt, das sich ohne Subventionen, Einspeisevorrang und bei Berücksichtigung der Netzkosten rentieren würde. Auch hier ist allein die gutgemeinte Botschaft entscheidend. Der feste Glaube, etwas Gutes zu tun, ist mächtiger als jede Evidenz. 

Die erste Reise des Papstes Franziskus sollte ein deutliches Zeichen setzen. Als der Pontifex Maximus 2013 nach Lampedusa reiste, wollte er zweifellos Gutes tun. Die Wirkung seines Besuches war indes für die afrikanischen Zuwanderer verheerend, weil sie fahrlässig einen Anreiz für die Flucht setzte. Als die italienische Regierung daraufhin „Mare Nostrum“ ins Leben rief, tat sie dies im Willen, Gutes zu tun. Tatsächlich hat sie aber skrupellosen Menschenhändlern in die Hände gearbeitet. 

Schlechtes Gewissen mit Gewinn bewirtschaften

An der illegalen Einwanderung verdient die organisierte Kriminalität gut. Ein Schleuser kann, wie der franko-beninische Journalist Serge Daniel ermittelt hat, derzeit zwischen 1.000 und 8.000 Euro pro Person verlangen. Es gibt beispielsweise in Libyen Milizen, die Schleuserorganisationen schützen. Flüchtlinge werden auf seeuntaugliche Boote ohne ausreichend Wasser und Nahrungsmittel verfrachtet.

Zahlreiche afrikanische Bischöfe widersprechen den Willkommensgesten des Papstes. Sie sind schon seit Jahren gegen die Auswanderung ihrer Landsleute. Sie predigen gegen ein solches „Abenteuer“ und warnen vor einem „falschen Paradies“, das ihnen versprochen wird. Sie sehen in der Auswanderung die große Gefahr, daß die afrikanischen Staaten ihr wichtigstes Kapital verlieren: ihre Jugend. Der Erzbischof von Abuja/Nigeria, Kardinal John Olorunfemi Onaiyekan, warnt seit Jahren vor der Auswanderung: „Die Auswanderung in ein unbekanntes Land ist nicht die Lösung. Viele denken, daß es anderswo ein besseres Leben gibt. Doch das ist nicht wahr. Die Situation, die im Ausland wartet, kann auch noch schlimmer sein als im eigenen Land.“

Der aus Guinea stammende Kurienkardinal Robert Sarah wird nicht müde, zu sagen, daß die kritiklose Politik der offenen Grenzen das Leid negiere, das ein Verlassen der Heimat für die betroffenen Menschen mit sich bringe. Migranten, die in Europa ankommen, würden zudem irgendwo „zwischengelagert“, ohne Arbeit und ohne Würde. Und Sarah fragt: „Kann die Kirche so etwas wollen?“

Baur schaut auch genauer auf die westliche Hysterie gegen das Insektizid DDT. Obwohl konkrete Schäden nie belegt werden konnten, wurde DDT in vielen Ländern verboten oder eingeschränkt. Aber in Afrika rettet der maßvolle Einsatz des Insektizids Millionen von Menschen. Es tötet die Mücken und verhindert so, daß sie die Menschen mit dem Malaria-Erreger Plasmodium infizieren können. Für afrikanische Ärzte sind nicht bewiesene Hinweise, daß DDT Krebs verursacht, nebensächlich, wenn sie Menschen retten können.

Alex Baur schreibt: „Seltsamerweise wird Idealismus stets mit etwas Positivem verbunden, selbst wenn sich herausstellt, daß die Folgen verheerend waren.“ Den Menschen falle es schwer, Irrtümer einzugestehen und die Notbremse zu bestätigen. Das hänge vermutlich damit zusammen, daß all die Hilfswerke unser schlechtes Gewissen gewinnbringend bewirtschaften. Die Vermarktung der Armut sei ein Business, von dem die vermeintlichen Helfer selber am meisten profitieren.

Sprache, Form und gedankliche Finesse machen das Buch zu einem Lesegenuß.






Volker Seitz ist ein ehemaliger Diplomat und war zwischen 1996 und 2008 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Benin, Armenien, Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea. 

Alex Baur: Der Fluch des Guten. Wenn der fromme Wunsch regiert – eine Schadensbilanz. Münsterverlag, Basel 2019, broschiert, 330 Seiten, 22 Euro