© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/19 / 15. November 2019

Jahrhundertleben für Tibet
Alexandra David-Néel und die ewige Suche in Asien
Werner Olles

Alexandra David-Néels Leben umfaßt neben dem Deutsch-Französischen Krieg zwei Weltkriege. Bei ihrer Geburt war Kaiser Napoleon III. noch an der Macht, bei ihrem Tod befand sich die Pariser Studentenrevolte auf ihrem Höhepunkt. Die Tochter einer katholisch-bigotten Mutter und eines anarchistischen Vaters, erzogen an einer Klosterschule, liest Plato, Epikur, die Stoiker und bereitet sich auf die faszinierenden östlichen Religionen und Weisheitslehren vor. Neugierig auf Okkultes lernt sie die Theosophische Gesellschaft kennen, kann jedoch der Esoterik und dem Spiritismus nichts abgewinnen. Als „rationale Mystikerin“ gehört ihr Interesse dem tibetischen Buddhismus mit seinen magischen Praktiken. 1891 reist sie erstmals nach Asien und begegnet auf Ceylon dem Theravada-Buddhismus. Nach ihrer Heimkehr beginnt sie eine Gesangskarriere und heiratet den Ingenieur Philippe Néel. 

Mit 43 beginnt sie eine fünfzehnjährige Reise, trifft in Indien auf Sri Aurobindo, um dann von Sikkim aus nach Tibet vorzustoßen. Der Abt des Klosters Lachen macht sie mit den Ritualen, Mantras, der üppigen Götter- und Bilderwelt, den Himmeln und Höllen des Lamaismus, der katholischen Variante des Buddhismus, und seinen magischen Praktiken bekannt. 8.000 Meilen durchwandert sie mit ihrem Schüler und Diener, dem Lama Yongden Asien, verbringt drei Jahre in der Klosterschule Kumbum und erreicht im Januar 1924 Lhasa, die „Sonnenstadt“. Ein Jahr später dann die Rückkehr nach Europa, wo „die Erde unter der Herrschaft der zivilisierten Völker immer häßlicher wird. Es bleibt Tibet, das letzte, fast noch jungfräuliche Land.“

68jährig bricht sie noch einmal für neun Jahre auf. Die Welt ist noch häßlicher, inhumaner, technischer, kommerzieller geworden: „Überall, wo die Hand des Menschen ihren Fuß hinsetzt, wird die Natur zerstört.“ Ihr 100. Geburtstag wird gebührend gefeiert. Die Mondlandung imponiert ihr nicht, auch politisch ist sie „unkorrekt“. Sie verurteilt den chinesischen Imperialismus und Expansionismus und tritt unerschütterlich für die Sache Tibets ein. Im September 1969 erkrankt sie und stirbt. Im Februar 1970 verstreut eine Vertraute Alexandras Asche ihrem Wunsch gemäß in Benares in den Ganges.

Ludger Lütkehaus: Mein Weg durch Himmel und Höllen. Das abenteuerliche Leben der Alexandra David-Néel (1868–1969). Basilisken-Presse, Marburg an der Lahn 2019, broschiert, 40 Seiten, 12 Euro