© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/19 / 22. November 2019

Verkaufte Zeitungsseelen
Mit Steuermillionen sollen etablierte Verlage künftig aus dem Bundeshaushalt unterstützt werden
Michael Paulwitz

Auf leisen Sohlen, aber unaufhaltsam kommt der Umbau der deutschen Zeitungslandschaft zur steueralimentierten Regierungspresse daher. Hinter dem scheinbar harmlosen Haushaltstitel „Infrastrukturförderung der Zustellung von Anzeigenblättern und Tageszeitungen“ verbirgt sich ein ordnungspolitischer Sündenfall von kaum absehbarer Tragweite: der Einstieg in die flächendeckende Lenkung von Zeitungsverlagen durch direkte Subventionen aus der Staatskasse.

Das kommt nicht von ungefähr. Seit geraumer Zeit bereits haben sich namhafte Zeitungsverlage zusammengetan, um in diesem Sinne Druck auf die Politik auszuüben. Selbst nominelle Konkurrenten unterschreiben auf den seit Monaten eingehenden Brandbriefen einträchtig nebeneinander.

Raffiniert verweisen sie auf die in anderen europäischen Ländern längst gängige Praxis der Subventionierung von Presse- und Medienerzeugnissen, auf die sie scheinbar großzügig verzichten. Bezuschußt werden solle lediglich die immer kostspieliger gewordene flächendeckende Zustellung ihrer Produkte. Ein Etikettenschwindel: Subvention bleibt Subvention, egal was in der Betreffzeile der Schecks vom Steuerzahler steht. 

Die Sorge um die Versorgung der Landbevölkerung und älterer, nicht-digitaler Leser ist ein geschickter Schachzug, aber vorgeschoben. Gegen die ersehnte staatliche Finanzspritze verkaufen die Tageszeitungen die Seele ihrer bislang hochgehaltenen privatwirtschaftlichen Unabhängigkeit, die vielfach ohnehin nur noch auf dem Papier besteht, an den Moloch Steuerstaat, auf daß er auch zu ihrem Wohl seine Bürger weiter schröpfe.

Subventionen sind jedoch keine Einbahnstraße. Ein Element der Bestechung ist stets im Spiel: Staatskohle gegen Wohlverhalten. Nicht wenige der sogenannten „Qualitätsmedien“ sind mit regierungsfrommer und zeitgeistgenehmer Meinungsmache schon erheblich in Vorleistung gegangen: Kritische Töne zu Einwanderung, Energiewende oder Euro-Rettung waren auch vorher kaum von ihnen zu hören. Der Wettlauf um den warmen Regen aus der Staatskanne wird den Konformitätsdruck gewiß nicht kleiner werden lassen. 

Zunächst sollen erst einmal 40 Millionen Euro fließen, sinnigerweise nicht nur für die Zustellung von Tageszeitungen, sondern auch von Anzeigenblättern. Die werden zwar in der Regel auch von den regionalen Zeitungsverlagen herausgegeben, sind aber reine Kommerzprodukte, denen lediglich des Zeitungsprivilegs wegen ein dürftiges redaktionelles Feigenblatt umgehängt wird. Mit freiem Informationszugang und Meinungsvielfalt haben diese Blätter am allerwenigsten zu tun.

Den Koalitionspolitikern ist sehr wohl bewußt, daß sie den freien Wettbewerb und Pluralismus in der Medienlandschaft nicht stärken, sondern verzerren. Zumal es bei dieser Einstiegsdroge mit Sicherheit nicht bleiben wird. Sind die Abhängigen erst mal angefixt und die Verteiler der Staatsdroge erst mal auf den Geschmack gekommen, wird auch diese Subvention nur einen Weg kennen: den nach oben. Die Verleger haben schon mal zusätzlichen Bedarf in Höhe des Fünfzehnfachen angemeldet.

Mit Bedacht wurden die Zeitungs-Millionen in letzter Sekunde in den Bundeshaushalt geschmuggelt und den Haushaltspolitikern erst in der Bereinigungs-Marathonsitzung vor der Verabschiedung des Gesamthaushalts untergejubelt. Daß die Initiative ausgerechnet von einem SPD-Politiker kam, nämlich von Sozialminister Hubertus Heil, ist ebenfalls wohl kein Zufall. Der ehemalige SPD-Generalsekretär weiß selbst am besten, welche Zeitungen die Finanzspritze am dringendsten brauchen: die seiner eigenen Partei nämlich, die über ihre diversen Medienholdings selbst als Presse-Großkonzern agiert und nicht nur in vielen ländlichen Regionen eine Quasi-Monopolstellung bei der Zeitungsversorgung innehat, sondern über Konstrukte wie das zentralistische „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ auch beträchtlichen Einfluß auf die Berichterstattung hat.

Derart auf Kosten der Steuerzahler in die eigene Tasche zu wirtschaften, ist so dreist, wie die willige Zustimmung zur weiteren Zementierung der linken Meinungshegemonie seitens des Koalitionspartners töricht ist. Auch dieser Coup wurde von langer Hand vorbereitet. Im Koalitionsvertrag hatte man sich zunächst auf eine Entlastung der Medienkonzerne bei den Rentenbeiträgen für Zusteller verständigt. Jetzt sollen die Verlage auf diesem Wege von den Kosten sozialpolitischer Entscheidungen wie dem – für Zeitungszusteller ohnehin reduzierten – Mindestlohn befreit werden.

Dabei ist die Zeitungskrise keineswegs nur schicksalhafter Strukturwandel, sondern zu einem Gutteil selbstgemacht. Falsche unternehmerische Entscheidungen – der viel zu lange Verzicht auf tragfähige digitale Bezahlmodelle oder der versäumte Aufbau einer gemeinsamen effektiven Vertriebsstruktur – spielen dabei ebenso eine Rolle wie die konformistische Ödnis und volkspädagogische Leserferne der Inhalte. 

Statt dem Markt und Wettbewerb seinen Lauf zu lassen, nutzt die Politik die Gelegenheit, um sich die Verlage durch Privilegierung gegenüber der nonkonformen Konkurrenz noch gefügiger zu machen. Schon jetzt können linientreue Zeitungen sich durch ominöse „Rechercheverbünde“ mit den Öffentlich-Rechtlichen indirekt einen Anteil am Zwangsgebührenkuchen holen, machen Regierungsapparate sich ihnen gewogene Medien durch Anzeigenvergabe handzahm. Im Ergebnis zielt die neue Subventionsspirale auf die Etablierung einer Quasi-GEZ für Zeitungen. Schon jetzt verstummt bei manchen Verlagen die vorher vehemente Kritik an der Privilegierung der Zwangsgebührenmedien. Für die Konkurrenz aus Blogprojekten, unabhängigen, digitalen und alternativen Medien ist die unverfrorene Staatsintervention ein Ärgernis, aber auch eine Chance: Künftig wird das entscheidende Qualitätskriterium für Medienerzeugnisse sein, keinerlei Geld vom Staat zu nehmen.