© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/19 / 22. November 2019

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Was nicht paßt, wird passend gemacht
Paul Rosen

Wenn es gegen die größte Oppositionsfraktion geht, ist eine Mehrheit im Bundestag schnell gefunden. Die AfD saß noch nicht einmal im Parlament, da wurde schon zu ihren Ungunsten die Geschäftsordnung (GO) geändert. Eine ganz große Koalition wollte damit verhindern, daß die AfD den Alterspräsidenten in der ersten Sitzung hätte stellen können. 

Seit Beginn der Legislaturperiode bemüht sich die AfD, einen Vizepräsidenten des Bundestages zu stellen. Das Amt steht der Fraktion laut Geschäftsordnung zu. Zwar bekam die ehemalige Mitarbeiterin beim Zentralrat der kommunistischen Parteijugend FDJ, Petra Pau, eine Mehrheit, aber den früheren Frankfurter Stadtkämmerer Albrecht Glaser (AfD) ließ eine Mehrheit nicht nur einmal durchfallen. Das Auslegen von Vorschriften zu eigenen Gunsten funktioniert in der Classe politique meisterhaft. Die AfD kann nominieren, wen sie will: Angesichts der Bedeutung des Präsidiums, in dem die wichtigsten Entscheidungen für die Bundestagsverwaltung getroffen werden, wird die Mehrheit jeden AfD-Kandidaten verhindern. Denn wie sollen treue, aber mit Qualifikationsmängeln behaftete Parteigänger in die Bundestagsverwaltung gehievt oder schnell in hohe Ämter befördert werden, wenn der rechte „Feind“ das alles mitbekommt? 

Wenn es nach Patrick Sensburg (CDU) geht, soll sich im Bundestag viel ändern – aber nur zu Lasten der Opposition. Sensburg ist nicht irgendwer, sondern stellt als Vorsitzender des Geschäftsordnungsausschusses im Bundestag wichtige Weichen für das parlamentarische Miteinander – beziehungsweise im konkreten Fall das Gegeneinander. Statt der Vorschrift, daß jede Fraktion einen Vizepräsidenten stellt, will Sensburg eine „Klarstellung“: Danach darf jede Fraktion einen Kandidaten „benennen“. Ob der dann gewählt werde, sei dahingestellt. Denn daß der jetzige Zustand rechtlich miserabel ist, ist dem Juristen Sensburg natürlich klar. Daher ändert man lieber die Vorschrift, statt sie einzuhalten. 

Das soll auch bei den Ausschußvorsitzenden so passieren. Die Vorsitzenden der Bundestagsausschüsse werden durch  Einigung im Ältestenrat des Parlaments „bestimmt“ – von Wahl oder Abwahl ist in der GO keine Rede. Also soll sie geändert werden, um der Abwahl des Justizausschußvorsitzenden Stephan Brandner nachträglich ein legitimatorisches Mäntelchen umzuhängen und bereits für spätere Fälle gewappnet zu sein. 

Keine Fortschritte zeichnen sich hingegen bei einem viel dringlicheren Projekt ab: der Verkleinerung des Bundestages. Schon läßt die Verwaltung prüfen und rechnen, wie man statt mit der heutigen Rekordzahl von 709 sogar mit 750 oder 850 Abgeordneten nach der Wahl 2022 klarkommen könnte. In den Räumen der Bundestagsausschüsse wurde bereits gemessen, ob noch ein paar Abgeordnete mehr in die ohnehin schon zum Bersten vollen Säle passen. Wenn der Bundestag durch das komplizierte Wahlrecht noch größer werden sollte, fehlen Büros, die rund um den Reichstag auch nicht anmietbar sind. Besonders Abgeordnete der einstigen Volksparteien haben Angst vor Mandatsverlusten.