© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/19 / 22. November 2019

Wenn es dunkel bleibt
Blackout: Die deutsche Energiewende bringt Europas Stomnetz an die Belastungsgrenze. Netzbetreiber erwarten mehr Ausfälle
Marc Schmidt

Am 7. Oktober war es wieder soweit. Erneut stand das deutsche Stromnetz kurz vor dem Kollaps. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt war wie mehrfach im Juni oder am 10. und 24. Januar 2019 die Versorgungssicherheit in ganz Europa durch den Irrweg der deutschen Energiewende gefährdet.

An diesem Wintertag wurden von 26 Ländern um 21.02 Uhr im europäischen Höchstspannungsnetz 49,8 Hertz (Hz) statt der notwendigen 50 Hz gemessen. Diesen heftigsten Spannungsabfall seit 2006 riefen ungenaue Prognosen und Einspeisungen von Windenergie bei einem zugleich leicht überdurchschnittlichen Verbrauch hervor. Der Abfall erforderte es, in Frankreich 22 Industriebetriebe mit sehr hohem Stromverbrauch vom Netz zu nehmen. Dieser Lastabwurf zog erhebliche Schadensersatzzahlungen nach sich. Zeitgleich wurden österreichische Pumpwasserkraftwerke angefahren, da alle konventionellen Kraftwerke von Gaskraft bis Kernenergie zu lange bräuchten, um hochgefahren zu werden. Die akute Gefahr des Netzzusammenbruchs bestand für gut zwei Stunden.

Die vier deutschen Netzbetreiber erwarten zukünftig stärkere und längere Schwankungen – und damit auch Blackouts. Um dem entgegenzuwirken, hielten sie allein im ersten Quartal 2019 zur Netzstabilisierung 5.032 Gigawattstunden vor. Dieser Strom wird abgeriegelt – das heißt, er wird vergütet, aber nicht eingespeist – oder anderweitig eingekauft. Das sind 60 Prozent mehr als im Vergleichsquartal 2018. Die Kosten für die deutschen Netzbetreiber belaufen sich auf mehrere Milliarden Euro.

Zum Vergleich: Ausgehend von den veröffentlichten Jahresverbräuchen haben von Januar bis April 2019 allein die beiden größten deutschen Wirtschaftsstandorte Berlin und Hamburg jeweils 3.400 Gigawattstunden bzw. 2.900 Gigawattstunden inklusive Schwerindustrie, ÖPNV und Hafen verbraucht. Die Folge: Um die Stabilität der Netze gerade an solchen Standorten zu gewährleisten, wird mehr vom Verbraucher bezahlter Strom nicht in die Netze gelassen, als diese größten deutschen Metropolen verbrauchen. Zusätzlich wird es für die Netzbetreiber zunehmend interessant, diese Reserven zu nutzen, da sie günstiger sind, als teuren erneuerbaren Strom am Markt zu kaufen.

Ein Tag Blackout kostet Europa 150 Milliarden Euro

Diese Entwicklung ist die Folge der immer weiter voranschreitenden Abschaltung von konventionellen Kraftwerken sowie des weiteren Ausbaus der Erneuerbaren, insbesondere der Windenergie. Deren Anteil an der gesamten Energieerzeugung stieg im Quartalsvergleich 1/2018 zu 1/2019 um 21 Prozent, gleichzeitig ist sie es, die 99 Prozent des abgeriegelten Stroms ausmacht. Eine Drosselung der Produktion ist verboten.

Mit diesem Wert wird Windenergie auch seitens der Netzbetreiber in ihrem Bericht zur Leistungsbilanz 2018 mit Ausblick bis 2021 als „in Krisensituationen nicht verfügbar“ eingeordnet. Die stark schwankenden und unzuverlässigen Einspeisemengen sind mehr als ungeeignet, einen Beitrag zur Stabilisierung eines Netzes zu leisten.

Dies gilt auch für den Fall eines Netzzusammenbruchs. Das Wiederanfahren eines Netzes ist ein extrem komplizierter Vorgang, der zunächst dezentral im Umfeld von konstant liefernden Kraftwerken erfolgt. Die in deutschen Planungen besonders forcierte Offshore-Windenergie ist hierzu auch nach einem Netzausbau ungeeignet.

Mit der Abschaltung weiterer Kapazitäten wie etwa des Kernkraftwerks im baden-württembergischen Philippsburg am 31. Dezember 2019 wird sich die Zahl der notwendigen Steuerungseingriffe in die Stromnetze weiter deutlich erhöhen. Die unverändert große Stromnachfrage in den Industriegebieten im Südwesten trifft dann auf eine verschlechterte Produktionsverteilung, zumal der ursprünglich für den Ausgleich vorgesehene Windstrom aus Schleswig-Holstein aufgrund des stark verzögerten Trassenbaus für industrielle Grundlast nicht zur Verfügung steht.

Nicht nur die steigenden Risiken eines Netzzusammenbruchs sind in Politik und Wirtschaft seit längerem bekannt, auch die Auswirkungen eines solchen. In den Aktenschränken des Berliner Politikbetriebs schlummert ein Gutachten von 2011 mit dem sperrigen Titel „Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften – am Beispiel eines großräumigen und langandauernden Ausfalls der Stromversorgung“.

Zentrales Fazit der Studie für einen längeren Blackout: Die flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit teils sogar lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen kann nicht sichergestellt werden. Seit der Gutachtenerstellung hat Deutschland den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen und die Wirtschaft sich zugleich noch stärker von einer funktionierenden Versorgung mit Energie und im Rahmen der Digitalisierung auch von meist elektronischen Daten abhängig gemacht.

Supermärkte wären schnell geplündert

Experten schätzen die reinen Ausfallkosten der Unternehmen in Europa bei einem flächendeckenden Blackout auf 110 bis 150 Milliarden Euro pro Tag. Diese Summe beinhaltet nicht die Schäden an Infrastruktur und Häusern durch unkontrollierte Feuer, Unfälle sowie den Komplettausfall der medizinischen Versorgung nach wenigen Tagen und ist auch exklusive einer Teilverantwortung für Tausende Tote.

Fällt die Energieversorgung in den Produktionsstandorten der Grundstoffindustrie für mehrere Tage aus, sind alle Werke in den Bereichen Metall, Aluminium, Kupfer, Chemie, sowie sämtliche Raffineriestandorte zerstört oder zentrale Maschienen stark beschädigt, zumal eine geordnete Abschaltung ausbleibt: Denn diese Standorte werden, beim Versuch, das Gesamtnetz zu stabilisieren, als erstes ohne größeren Vorlauf als sogenannte abwerfbare Lasten von der Stromversorgung getrennt. Selbst wenn der Versicherungs- und Bankensektor wider Erwarten in der Lage ist, diese versicherten Schäden zu decken, ist ein Wiederaufbau dieser Standorte in Deutschland nicht zu erwarten. Der Standort ist für Neubauten zu teuer, zu stark reglementiert und kann mit dem Blackout als Beleg eine sichere Versorgung seiner Industrie nicht beweisen.

In der Praxis führt ein flächendeckender und mehrere Tage oder gar Wochen andauernder Zusammenbruch der Stromversorgung zum Zusammenbruch der staatlichen Ordnung.

Aufgrund des Ausfalls aller Ampelanlagen und der Straßenbeleuchtung bricht der Verkehr in allen Metropolen und kleineren Städten binnen Minuten zusammen. Ohne funktionierende Kommunikationsnetze können Unfälle und andere Notfälle nicht gemeldet werden. Was aber keinen Unterschied macht, denn bei dieser Verkehrslage erreichen weder Polizei noch Krankenwagen ihre Einsatzorte, egal ob den einer Plünderung, eines Feuers, eines Unfalls mit vielen Verletzten oder zur Rettung der zahllosen Menschen, die in Aufzügen oder U-Bahnen festsitzen und diese verlassen müssen.

Die Signale der Bahnanlagen fallen aus. Sämtliche Züge stehen unmittelbar und müssen auf offener Strecke geräumt werden, wobei Informationen über die Ursachen, die Dauer des Ausfalls und die Gefahren nicht weitergegeben werden können. Private Haushalte sind dunkel und ohne jedes Kommunikationsmittel, da weder Internet noch Telefon, Fernsehen oder Radio normal funktionieren.

Getrennte Familien gelangen aufgrund des Verkehrszusammenbruchs nicht zueinander, die Versorgung von Kindern oder älteren Familienmitgliedern außerhalb des Haushalts kommt zum Erliegen. In den Haushalten gibt es weder fließend Wasser noch Heizung abseits von Feueröfen. Da mindestens 98 Prozent der Haushalte in Deutschland auf diese Szenarien weder durch Wissen noch durch Vorräte vorbereitet sind, werden Lebensmittel und Getränke spätestens nach wenigen Tagen knapp. Zu diesem Zeitpunkt sind die Supermärkte bereits geplündert.

Das ist nicht aus der Luft gegriffen. Regionale Stromausfälle haben gezeigt: diese Situation in Verbindung mit der Passivität aller elektronischen Sicherheitssysteme kann binnen Stunden zu Geschäftsplünderungen führen. So wurden bei einem eineinhalbtägigen Stromausfall 1977 in New York 1.616 Geschäfte in der Stadt ausgeräumt. Zusätzlich richteten Brandstifter massiv Unheil an. In den Geschäften, die nicht umgehend schließen, macht die fehlende Energieversorgung Einkäufe unmöglich. Alle Kassensysteme stehen still. Zugleich entfällt die Kühlung für verderbliche und tiefgefrorene Waren wie Nahrungsmittel. In New York 1977 summierten sich die Schäden auf umgerechnet eine Milliarde Euro.

Die sogenannten kritischen Infrastrukturen wie Krankenhäuser, bestimmte Transformatoren, Polizeistationen, Feuerwehr und andere neuralgische Punkte sind zwar seitens des Staates angehalten, eine Notstromversorgung mit Diesel für 72 Stunden bereitzuhalten. Aber ab diesem Zeitpunkt müssen auch diese Institutionen mit Kraftstoff versorgt werden. Der Verkehrszusammenbruch in Großstädten außerhalb Deutschlands bei einem Stromausfall hat gezeigt, daß Tankwagen auch mit Unterstützung von Räumfahrzeugen nicht in der Lage wären, ihre Ziele zu erreichen.

Bundesregierung empfiehlt Bevorratung für zehn Tage

Zudem stockt seit Jahren die vom Bund auf die Kreise delegierte Umsetzung der Planungen zur Ertüchtigung ausgewählter Tankstellen. Während der Bund seit der Ölkrise der 1970er Jahre eine 90-Tage-Bevorratung bereithält und diese Depots ausgeben könnte, gelingt die Verteilung in die Fläche nicht. Die Umsetzung scheitert insbesondere an der Ertüchtigung der für die regionale Versorgung ausgewählten Tankstellen, da diese ebenfalls mit Notstrom versorgt werden müssen, um Treibstoff aus den Tanks zu holen.

Eine Notstromversorgung in Krankenhäusern bedeutet, daß de facto nur noch lebenserhaltende Maßnahmen und Notfälle behandelt werden. Normale Therapien werden nach wenigen Tagen komplett ausgesetzt. Auch muß die Lebensmittelversorgung der Krankenhäuser bald auf Rationenbetrieb umgestellt werden. Brände aufgrund von technischen Defekten, Blitzeinschlägen, unvorsichtigem Verhalten mit den jetzt überall eingesetzten Kerzen oder gar Brandstiftungen können nur mit Eimern gelöscht werden.

Die größte Gefahr auch für die Menschen, die sich ausreichend bevorratet haben, besteht im Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung. Bei einem Blackout im Winter ist ein fremdes Haus, das durch Photovoltaikanlagen über Licht und eventuell Wärme verfügt, ein Ort, der verzweifelte Menschen und kriminelle Elemente anzieht wie ein Lagerfeuer Erfrierende.

Die Bundesregierung empfiehlt eine Bevorratung für mindestens zehn Tage für alle Personen im Haushalt anzulegen. Da die wenigsten Haushalte dies befolgen, sind Verteilungskämpfe eine menschliche und zugleich barbarische Konsequenz.

Die Folgen eines Zusammenbruchs der Stromnetze lassen sich nur schwer prognostizieren, ohne sehr abschreckende Szenarien zu beschreiben. Der leichtfertige und ideologisch geprägte Umgang mit unserer Energieinfrastruktur und unserer Versorgungssicherheit ist vor diesem Hintergrund unverständlich. Sicher ist nur, daß ein Blackout mit all seinen Konsequenzen Gesellschaft und Wirtschaft härter und nachhaltiger verändern wird, als grüne Träume von der Energiewende es je versprochen haben.