© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/19 / 22. November 2019

Grüße aus Wien
Rollender Wahnsinn
Michael Link

Paris, Köln, Berlin, Prag, Budapest – die E-Roller gehören inzwischen zum Bild mitteleuropäischer Metropolen. Auch in Wien machen bald 10.000 E-Scooter die Straßen unsicher. Die Spaßmobile werden von zehn behördlich registrierten Leihfirmen angeboten. Während man im Regierungsviertel Männer im Anzug vorbeisausen sieht, drehen in der Umgebung der Hofburg Touristen ihre Scooter-Runden, weniger elegant, eher penetrant. Angesichts achtlos hingeworfener Leih-Scooter gleichen Wege in der Wiener City oftmals einem Hürdenlauf. Halsbrecherische Fahraktionen verschrecken Fußgänger, eine Helmpflicht gibt es noch nicht, obwohl eine aktuelle Statistik dies nahelegt: Nach Angaben der grünen Vizebürgermeisterin Birgit Hebein wurden zwischen Oktober 2018 und August 2019 seitens der Polizei 1.559 „Amtshandlungen“ im Hinblick auf E-Scooter registriert. Es wurden 549 Strafzettel ausgestellt, vor allem wegen Mißachtung des Rotlichts, Telefonierens beim Lenken oder Befahren des Gehsteigs. 103 Anzeigen wurden wegen alkoholisierten, sechs wegen Fahrens unter Rauschgifteinfluß erstattet. Darüber hinaus wurden 60 Unfälle mit Personenschaden registriert. Überdies gab es 1.015 Beschwerden wegen falscher Abstellung der Roller.

Rechtzeitig zur Punsch- und Adventssaison brütet das Rathaus über einer Neuregelung.

Ruhende E-Scooter riefen in mehr als 300 Fällen die Behörden auf den Plan: Es wurden Roller auf dem taktilen Blindenleitsystem, im Bereich von Schutzwegen, im Haltestellenbereich sowie auf Gehsteigen mit weniger als 2,5 Metern Breite abgestellt. Immer wieder landen Scooters vor Haus­einfahrten oder auf Grünflächen. Dabei ist die Umweltfreundlichkeit der E-Rollerei umstritten: So soll die Lebensdauer der „Made in China“-Produkte bei ein bis drei Monaten liegen, die Umweltbilanz der Batterien ist fragwürdig. Angesichts der tiefer werdenden Sorgenfalten der Stadtregierung kam es nun zu einem Treffen mit den Roller-Anbietern. Rechtzeitig zur Punsch- und Adventssaison brütet das Rathaus über einer Neuregelung in Sachen Leih-Scooter. Sie sollen eigene Abstellbereiche erhalten. Sollte sich ein Ende des E-Scooter-Chaos abzeichnen, könnte ich mir sogar überlegen, selbst mal so ein Ding in Bewegung zu setzen, um so ein besonderes Stück Wiener Straßenverkehr zu erleben. Für heute werde ich aber noch schnell eine Runde mit meinem guten alten Fahrrad drehen – und dabei vielleicht wieder einmal dem einen oder anderen E-Scooter geschickt ausweichen.